Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), deutscher Nationaldichter, im Alter von 33 Jahren von Kaiser Joseph II. geadelt, 1778:
An den Mond.
Füllest wieder Busch
und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;
Breitest über mein
Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick.
Jeden Nachklang
fühlt mein Herz
Froh- und trüber Zeit
Wandle zwischen Freud und Schmerz
In der Einsamkeit.
Fließe, fließe,
lieber Fluß!
Nimmer werd ich froh,
So verrauschte Scherz und Kuß,
Und die Treue so.
Ich besaß es doch
einmal,
Was so köstlich ist!
Daß man doch zu seiner Qual
Nimmer es vergißt!
Rausche, Fluß, das
Tal entlang,
Ohne Rast und Ruh,
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu,
Wenn du in der
Winternacht
Wütend überschwillst,
Oder um die Frühlingspracht
Junger Knospen quillst.
Selig, wer sich vor
der Welt
Ohne Haß verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt,
Was, von Menschen
nicht gewußt
Oder nicht bedacht,
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.
Vgl. auch:
*
Joseph von Eichendorff (Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff, 1788-1857), bedeutender Lyriker, Prosadichter und Schriftsteller der Romantik, gehört mit etwa 5000 Liedern zu den meistvertonten deutschsprachigen Lyrikern, 1797:
Mondnacht.
Es war, als hätt der
Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt.
Die Luft ging durch
die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele
spannte
Weit ihre Flügel
aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
*
Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), klassischer deutscher Philologe, Philosoph, Dichter und Komponist, in: Also sprach Zarathustra, Zarathustras Rundgesang, 1883/1884:
Oh Mensch! Gib Acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
„Ich schlief, ich schlief –,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht: –
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh –,
Lust – tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit –,
– will tiefe, tiefe Ewigkeit!“
Weiterführendes Material im Umfeld von ›Also sprach Zarathustra‹, vgl. dazu: Leo Spitzer, „Drei Gedichte der Ekstase“, in: Eine Methode, Literatur zu interpretieren, Hg. Walter Höllerer, München 1970, 9-51; besonders zu empfehlen: Werner Stegmaier: „Oh Mensch! Gieb Acht!“, Kontextuelle Interpretation des Mitternachts-Lieds aus Nietzsches ›Also sprach Zarathustra‹, in: Nietzsche-Studien 42 (2013), 85-115 (siehe ebenso hier unten); außerdem: Richard Wagner: „Tristan und Isolde“, 1857, in: Gesammelte Schriften und Dichtungen, Siebenter Band, Leipzig 1888, 1-81.
„›Oh Mensch! Gieb Acht!‹ ist in Nietzsches ‚Also sprach
Zarathustra‘ das einzige Lied im gewohnten Sinn: in Verse umbrochen, metrisch fest
gebunden, gereimt und zum Vertonen und Singen einladend“ (1), so Werner Stegmaier, der
das Gedicht ausführlich in seinem philosophischen Gehalt und in seinem Kontext
erörtert hat und seinen Inhalt folgendermaßen wiedergibt: „Die Hauptworte
verdeutlichen zusammen mit den Verben ›ist‹, ›gedacht‹, ›spricht‹, ›Vergeh‹
und, wiederum wiederholt, ›will‹, worum es geht: um die alten philosophischen
Grundfragen des Seins, des Denkens und Sprechens, des Vergehens, also der Zeit,
und des Wollens.“ (2) Die Textur des Gedichtes verbirgt ein bewußtes Spiel und
eine gründliche Auseinandersetzung mit Wagner, beziehungsweise mit einigen
Szenen aus dem Libretto von Tristan und Isolde. Höchstwahrscheinlich fand
Nietzsche ein Stichwort für sein Mitternachts-Lied in einem verzweifelten
Brief, den ihm der unglücklich verliebte Erwin Rohde am 09. September 1875 nach
einer Aufführung des Tristan in München geschrieben hatte. Rohde glaubte im
Vorspiel zum dritten Akt den Klang einer Glocke zu vernehmen: »[…] Noch tönt
mir, vor allen anderen Erinnerungen, der Anfang des Vorspiels zum dritten Act
(die 5 ersten Töne) immer im Herzen nach: es kommt mir vor wie ein lang gezogenes,
tieftönendes Glockenläuten, das allem Glück und allem tröstlichen Lichte der
Erde zu Nacht und Grabe läutete; es ist furchtbar traurig!« (KGB II 6/1, 218-219).
Bei näherer Betrachtung enthüllt sich, so die These, der Text dabei als eine
Collage aus Schüsselwörtern, Klangelementen und vor allem aus Reimen des
Tristan, dessen »Symbolik der Sprache« Nietzsche tief bewunderte und den er in
Richard Wagner in Bayreuth als »Opus methaphysicum aller Kunst« bezeichnet
hatte (WB 8). Vor allem bewunderte er »den Urzustand«, die »Ursprünglichkeit
und Unerschöpflichkeit« der wagnerischen Sprache, »die tonvolle Kraft ihrer
Wurzeln« (WB 9). Der Text besteht, wie viele der Sätze und Satzfragmente in
Tristan und Isolde, aus kurzen, meistens ein- oder zweisilbigen Wörtern. Eine
Ausnahme davon bilden die dreisilbigen Reimwörter, die das Gedicht besiegeln:
›Herzeleid‹ / ›Ewigkeit‹. Die ersten Reime des »Trunkenen Lieds«, ›Acht‹ /
›Nacht‹ / ›Tag‹ (als Binnenreim) / ›erwacht‹, sind auch im Tristan zu finden
und zwar im zweiten Aufzug (Brangänes Wachgesang): Das Mitternachtslied im
›Zarathustra‹ und die Nacht des ›Tristan‹: Habet acht! / Habet acht! / Schon
weicht dem Tag die Nacht [...] . Auch der Traum kommt vor: Einsam wachend / in der
Nacht, / wem der Traum der Liebe lacht [...].
Isolde: O ew’ge Nacht, /süße Nacht! [...] / wie wär’ ohne Bangen / aus
dir er je erwacht? (3) Derselbe Reim in Verbindung mit dem Adjektiv ›tief‹
klingt in den Worten Tristans wieder: »drang mir ein / bis in des Herzens /
tiefsten Schrein. / Was dort in keuscher Nacht / dunkel verschlossen wacht«
(1105-1108). Die Verse Nietzsches: »Ich schlief, ich schlief –, / Aus tiefem
Traum bin ich erwacht« erinnern aber auch an die Worte Brünhildes, welche ihre
›Rückkehr zur Wahrnehmung der Erde und des Himmels‹ begrüßt: Lang war mein
Schlaf; / ich bin erwacht. (2417-2418) Als noch wichtiger in der Reihe der
Reimwörter erweist sich das Spiel mit ›Weh‹ und ›vergehen‹ im drittletztem Vers
des Gedichts Nietzsches (›weh spricht vergeh!‹), das auf das Verfahren Wagners
deutlich hinweist. Tristan und Isolde: ohne Wehen / hehr Vergehen. (1420-1421;
50) Derselbe Reim besiegelt die letzten Worte des sterbenden Siegfried in der
Götterdämmerung, wenn auch das Wehen (= Hauchen) hier auf den Atem von
Brünhilde bezogen ist: wonniges Wehen! – / Süßes Vergehen (1813-1814).
1 Werner Stegmaier: ›Oh Mensch! Gieb Acht!‹. Kontextuelle Interpretation des Mitternachtslieds aus Nietzsches ›Also sprach Zarathustra‹. In: Nietzsche-Studien 42 (2013), 85-115, hier: 86 f.
2 Ebd., 99 f.
3 Vgl. Richard Wagner: Tristan und Isolde (1857). In: ders.: Gesammelte Schriften und Dichtungen. Siebenter Band. Leipzig 1888, 1-81, hier: 48, 1377-1379; 45, 1291-1303, 1291-1294; 50, 1394-1401; 1105-1108; vgl. ggf. hier: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-476-05596-5_21, nochmals ausführlicher und prägnanter bitte hier:
Werner Stegmaier: „Oh Mensch! Gieb Acht!“
Kontextuelle Interpretation des Mitternachtslieds aus ‚Also
sprach Zarathustra‘. 21.05.2023.
*
Ludwig Christoph Heinrich Hölty (1748-1776), volkstümlicher, naturverbundener Dichter in der Strömung des Sturm und Drang: „Rosen auf dem Weg gestreut / und des Harms vergessen! / Eine kurze Spanne Zeit / ist uns zugemessen.“ Vgl. ggf. auch hier: https://www.gedichte7.de/ludwig-hoelty.html.
Frühlingslied.
Die Luft ist blau, das Tal ist grün,
Die kleinen Maienglocken blühn
Und Schlüsselblumen drunter;
Der Wiesengrund
Ist schon so bunt
Und malt sich täglich bunter.
Drum komme, wem der Mai gefällt,
Und freue sich der schönen Welt
Und Gottes Vatergüte,
Die diese Pracht,
Hervorgebracht,
Den Baum und seine Blüte.
*
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), deutscher Nationaldichter, im Alter von 33 Jahren von Kaiser Joseph II. geadelt, um 1817: ‚Selige Sehnsucht‘. Das Gedicht befindet sich an vorletzter Stelle im ‚Buch des Sängers‘ aus der Gedichtsammlung ‚West-östlicherDivan‘, erschienen 1819, Erstdruck im ‚Taschenbuch für Damen‘, 1817, unter dem Titel ‚Vollendung‘:
Selige Sehnsucht.
Sagt es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet:
Das Lebendge will ich preisen,
Das nach Flammentod sich sehnet.
In der Liebesnächte Kühlung,
Die dich zeugte, wo du zeugtest,
Überfällt dich fremde Fühlung,
Wenn die stille Kerze leuchtet.
Nicht mehr bleibest du umfangen
In der Finsternis Beschattung,
Und dich reißet neu Verlangen
Auf zu höherer Begattung.
Keine Ferne macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt,
Und zuletzt, des Lichts begierig,
Bist du, Schmetterling, verbrannt.
Und solang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.
Vgl. diese wesenhafte Interpretation, Originalquelle: https://www.manova.news/artikel/stirb-und-werde, bzw. auch hier gesichert:
Lea Söhner: Stirb und werde!
„In Zeiten des
Denkverbots kann die Besinnung auf Klassiker unseren Geist weiten und
Anregungen zu den wesentlichen Lebensfragen geben.“ 14.12.2023.
Vgl. ggf. auch: https://www.gedichte7.de/selige-sehnsucht.html.
*
Und ich frage mich.
Hört ihr die Motoren am Himmel dröhnen,
die Unheil über die Menschen bringen?
Hört ihr die Menschen schreien,
wenn sie mit der Angst und Panik ringen?
Spürt ihr, wie die Erde bebt,
und hofft ihr, daß ihr alles überlebt?
Nein, ihr seid weit weg von diesem Ort,
wo es nur Zerstörung gibt und Mord.
Refrain:
Und ich frage mich, muß das sein,
daß Eltern um ihre Kinder wein’?
Ich frage die, die hinter alledem stecken,
die die Kriege aushecken:
Ihr verdient so viel blutiges Geld,
während die Menschen dort verrecken,
wo sollen sie sich denn noch verstecken?
Wo ist euer Gewissen geblieben?
Ich sag’ es laut:
Ihr habt eure Seele dem Teufel verkauft.
Seht ihr das Kind, das weint,
weil es nicht versteht, was ihm geschieht?
Seht ihr die Mutter, die das Kind mit ihrem Körper schützt,
weil sie es mehr als sich selber liebt?
Und hört ihr die unschuldigen Seelen schreien,
sie sollen nicht vergessen sein.
Nein, ihr seid weit weg von diesem Ort,
wo es nur Zerstörung gibt und Mord.
Refrain:
Und ich frage mich, muß das sein,
daß Eltern um ihre Kinder wein’?
Ich frage die, die hinter alledem stecken,
die die Kriege aushecken:
Ihr verdient so viel blutiges Geld,
während die Menschen dort verrecken,
wo sollen sie sich denn noch verstecken?
Wo ist euer Gewissen geblieben?
Ich sag’ es laut:
Ihr habt eure Seele dem Teufel verkauft.
Rainer Maria Rilke (1875-1926), deutscher Lyriker:
Du mußt das Leben nicht verstehen.
Du mußt das Leben nicht verstehen,
dann wird es werden wie ein Fest.
Und laß dir jeden Tag geschehen
so wie ein Kind im Weitergehen von jedem Wehen
sich viele Blüten schenken läßt.
Sie aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren,
und hält den lieben jungen Jahren
nach neuen seine Hände hin.
Hermann Karl Hesse (1877-1962), deutschsprachiger Schriftsteller, Dichter, Maler, Literaturnobelpreis 1946:
Im Nebel.
Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.
Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.
Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.
Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.
*
Hermann Karl Hesse (1877-1962), deutschsprachiger Schriftsteller, Dichter, Maler, Literaturnobelpreis 1946; im Mai 1941, nach langer Krankheit, schrieb er dieses, eines der schönsten und bekanntesten deutschen Gedichte, ursprünglich unter dem Titel ‚Transzendieren‘ (vgl. weiterführend ggf. auch hier: https://www.gedichte-lyrik-online.de/stufen.html):
Stufen.
Wie jede Blüte welkt
und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter
Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht
auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
*
Karl Wilhelm Ramler (1725-1798), genannt ‚der deutsche Horaz‘, Dichter, Philosoph, in der Tradition und Schule von Aufklärung und Empfindsamkeit:
An den Frieden.
Wo bist du hingeflohn, geliebter Friede?
Gen Himmel, in dein mütterliches Land?
Hast du dich, ihrer Ungerechtigkeiten müde,
Ganz von der Erde weggewandt?
Wohnst du nicht noch auf einer von den Fluren
Des Ozeans, in Klippen tief versteckt,
Wohin kein Wuchrer, keine Missetäter fuhren,
Die kein Eroberer entdeckt?
Nicht wo, mit Wüsten ringsumher bewehret,
Der Wilde sich in deinem Himmel dünkt?
Sich ruhig von den Früchten seines Palmbaums nähret,
Vom Safte seines Palmbaums trinkt?
O! wo du wohnst, laß endlich dich erbitten:
Komm wieder, wo dein süßer Feldgesang
Von herdevollen Hügeln und aus Weinbeerhütten
Und unter Kornaltären klang!
Sieh diese Schäfersitze, deine Freude,
Wie Städte lang, wie Rosengärten schön,
Nun sparsam, nun wie Bäumchen auf verbrannter Heide,
Wie Gras auf öden Mauern stehn.
Die Winzerinnen halten nicht mehr Tänze;
Die jüngst verlobte Garbenbinderin
Trägt ohne Saitenspiel und Lieder ihre Kränze
Zum Dankaltare weinend hin.
Denn ach! der Krieg verwüstet Saat und Reben
Und Korn und Most; vertilget Frucht und Stamm,
Erwürgt die frommen Mütter, die die Milch uns geben,
Erwürgt das kleine fromme Lamm.
Mit unsern Rossen fährt er Donnerwagen,
Mit unsern Sicheln mäht er Menschen ab;
Den Vater hat er jüngst, er hat den Mann erschlagen,
Nun fordert er den Knaben ab.
Erbarme dich des langen Jammers! rette
Von deinem Volk den armen Überrest!
Bind an der Hölle Tor mit siebenfacher Kette
Auf ewig den Verderber fest!
*
Die Verse „Als
ich begann, mich selbst zu lieben…“ gehören zu den schönsten Beschreibungen zur gesunden
Selbstliebe
und erinnern uns inständig, wie notwendig es ist, seinem Herzen,
seinem Gefühl, seiner Intuition zu folgen – jederzeit. Urheberin ist die
amerikanische Autorin Kim McMillen. Sie schrieb das Gedicht kurz vor ihrem Tod 1996. Fälschlicherweise wird es Charlie
Chaplin zugeschrieben, der es zu seinem 70. Geburtstag, am 16. April 1959, gesprochen
haben soll. Diese Legende verdankt er (wahrscheinlich) einem brasilianischen
Fanclub, der nach Übersetzung des Textes ins Portugiesische ihn als Verfasser via
Internet 2003 in Umlauf brachte. Wir haben die Originalfassung (aus dieser Primärquelle)
in möglichst hoher Kongruenz von wörtlicher, inhaltlicher, sinnlicher und dichterischer
Rede abermals leicht angepaßt und ins Deutsche übertragen:
Als ich begann, mich
selbst zu lieben,
konnte ich erkennen,
daß Angst und emotionales Leiden nur Warnzeichen dafür waren, daß ich gegen
meine eigene Wahrheit lebte.
Heute weiß ich, das ist: AUTHENTIZITÄT.
Als ich begann, mich
selbst zu lieben,
verstand ich, wie
sehr es jemanden verletzen könnte, würde ich versuchen, ihm meine Wünsche
aufzuzwingen, obwohl ich weiß, daß die Zeit nicht reif und dieser Mensch nicht
bereit dazu ist – und das gilt auch, wenn ich selbst dieser Mensch bin.
Heute weiß ich, das nennt man: RESPEKT.
Als ich begann, mich
selbst zu lieben,
habe ich aufgehört,
mich nach einem anderen Leben zu sehnen und ich konnte sehen, daß alles, was
mich umgab, mich einlud, zu wachsen.
Heute nenne ich es: REIFE.
Als ich begann, mich
selbst zu lieben,
habe ich verstanden,
daß ich unter allen Umständen am richtigen Ort bin und alles genau im richtigen
Moment geschieht. Ich konnte also beruhigt sein.
Heute nenne ich es: SELBSTVERTRAUEN.
Als ich begann, mich
selbst zu lieben,
hörte ich auf, mir
meine Zeit zu stehlen, und ich hörte auf, riesige Projekte für die Zukunft zu
entwerfen. Heute tue ich nur das, was mir Freude und Glück bringt, Dinge, die
ich gerne tue und die mein Herz höher schlagen lassen, und ich mache sie auf
meine Art und in meinem eigenen Rhythmus.
Heute nenne ich es:
EINFACHHEIT.
Als ich begann, mich
selbst zu lieben,
befreite ich mich
von allem, was nicht gut für meine Gesundheit war – Essen, Menschen, Dinge,
Situationen – und von allem, was mich niederdrückte und von mir selbst wegzog.
Anfangs nannte ich diese Einstellung einen gesunden Egoismus.
Heute weiß ich, das
ist: SELBSTLIEBE.
Als ich begann, mich
selbst zu lieben,
habe ich aufgehört,
immer recht haben zu wollen – so habe ich mich weniger geirrt.
Heute habe ich erkannt, das ist: BESCHEIDENHEIT.
Als ich begann, mich
selbst zu lieben,
weigerte ich mich,
weiter in der Vergangenheit zu leben und mir Sorgen um die Zukunft zu machen.
Jetzt lebe ich nur noch für den Moment, wo ALLES passiert.
Heute lebe ich jeden
Tag, Tag für Tag, und ich nenne es: ERFÜLLUNG.
Als ich begann, mich
selbst zu lieben,
erkannte ich, daß
mein Verstand mich stören und traurig machen kann. Aber als ich ihn mit meinem
Herzen vereinigte, wurde er zu einem wertvollen Verbündeten.
Heute nenne ich
dieses Zusammenspiel: WEISHEIT DES HERZENS.
Wir brauchen keine Auseinandersetzungen, Konfrontationen oder irgendwelche
Probleme mit uns selbst oder anderen mehr zu fürchten. Sogar Sterne
kollidieren, und aus ihren Trümmern werden neue Welten geboren.
Heute weiß ich: Das
ist LEBEN!
*
‚Der Mond ist aufgegangen‘ gehört zu den schönsten und bekanntesten deutschen Gesangstexten und deutschen Literatur. Verfaßt hat das Gedicht der deutsche Lyriker und Journalist Matthias Claudius (Pseudonym: Asmus, 1740-1815). Es entstand um 1778 und ist vielfach vertont worden; die geläufigste Weise ist zugleich auch die älteste, sie stammt von Johann Abraham Peter Schulz aus dem Jahre 1790 (in einfacher Klavierstimme hier zu hören: https://de.wikipedia.org/wiki/Abendlied_(Matthias_Claudius)). Hier auch eine schöne Hommage an das Lied und seinen Dichter zu dessen 200. Todestag: http://schmid.welt.de/2015/01/21/der-mond-ist-aufgegangen/. Als Vorlage hatten ihn die Strophen des Theologen und Kirchenlieddichters Paul Gerhardt (1607-1676) ‚Nun ruhen alle Wälder‘ inspiriert. Johann Gottfried Herder (1744-1803), der deutsche Dichter, Theologe, Kultur- und Geschichtsphilosoph, einer der bedeutendsten Denker der Aufklärung, nahm die Claudiusschen Verse kurz nach ihrer Erstveröffentlichung im Vossischen Musenalmanach 1779 in seine Volksliedersammlung auf und trug so maßgeblich zu ihrer Verbreitung und Verehrung bei. Vgl. hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Abendlied_(Matthias_Claudius) und hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Nun_ruhen_alle_W%C3%A4lder.
Der Mond ist aufgegangen.
Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar:
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.
Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmrung Hülle
So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.
Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön.
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.
Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder,
Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgespinste,
Und suchen viele Künste,
Und kommen weiter von dem Ziel.
Gott, laß uns dein Heil schauen,
Auf nichts vergänglichs trauen,
Nicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden,
Und vor dir hier auf Erden
Wie Kinder fromm und fröhlich sein!
Wollst endlich sonder Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen
Durch einen sanften Tod,
Und wenn du uns genommen,
Laß uns in Himmel kommen,
Du lieber treuer frommer Gott!
So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder!
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon’ uns Gott mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen,
Und unsern kranken Nachbar auch!
Nun ruhen alle Wälder.
Nun ruhen alle Wälder,
Vieh, Menschen, Städt und Felder,
es schläft die ganze Welt;
ihr aber, meine Sinnen,
auf, auf, ihr sollt beginnen,
was eurem Schöpfer wohlgefällt.
Wo bist du, Sonne, blieben?
Die Nacht hat dich vertrieben,
die Nacht, des Tages Feind.
Fahr hin; ein andre Sonne,
mein Jesus, meine Wonne,
gar hell in meinem Herzen scheint.
Der Tag ist nun vergangen,
die güldnen Sternlein prangen
am blauen Himmelssaal;
also werd ich auch stehen,
wenn mich wird heißen gehen
mein Gott aus diesem Jammertal.
Der Leib eilt nun zur Ruhe,
legt ab das Kleid und Schuhe,
das Bild der Sterblichkeit;
die zieh ich aus, dagegen
wird Christus mir anlegen
den Rock der Ehr und Herrlichkeit.
Das Haupt, die Füß und Hände
sind froh, daß nun zum Ende
die Arbeit kommen sei.
Herz, freu dich, du sollst werden
vom Elend dieser Erden
und von der Sünden Arbeit frei.
Nun geht, ihr matten Glieder,
geht hin und legt euch nieder,
der Betten ihr begehrt.
Es kommen Stund und Zeiten,
da man euch wird bereiten
zur Ruh ein Bettlein in der Erd.
Mein Augen stehn verdrossen,
im Nu sind sie geschlossen.
Wo bleibt dann Leib und Seel?
Nimm sie zu deinen Gnaden,
sei gut für allen Schaden,
du Aug und Wächter Israel’.
Breit aus die Flügel beide,
o Jesu, meine Freude,
und nimm dein Küchlein ein.
Will Satan mich verschlingen,
so laß die Englein singen:
„Dies Kind soll unverletzet sein.“
Auch euch, ihr meine Lieben,
soll heute nicht betrüben
kein Unfall noch Gefahr.
Gott laß euch selig schlafen,
stell euch die güldnen Waffen
ums Bett und seiner Engel Schar.
*
Gottfried August Bürger (1747-1794), deutscher Dichter der Aufklärung, bekannt geworden u. a. auch durch die „Wunderbare Reise zu Wasser und zu Lande – Feldzüge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen“. – „Der Bauer an seinen durchlauchtigen Tyrannen“, 1773:
Wer bist du, Fürst, daß ohne Scheu
Zerrollen mich dein Wagenrad,
Zerschlagen darf dein Roß?
Wer bist du, Fürst, daß in mein Fleisch
Dein Freund, dein Jagdhund, ungebleut
Darf Klau’ und Rachen hau’n?
Wer bist du, daß, durch Saat und Forst,
Das Hurra deiner Jagd mich treibt,
Entatmet, wie das Wild? –
Die Saat, so deine Jagd zertritt,
Was Roß, und Hund, und Du verschlingst,
Das Brot, du Fürst, ist mein.
Du, Fürst, hast nicht, bei Egg’ und Pflug,
Hast nicht den Erntetag durchschwitzt.
Mein, mein ist Fleiß und Brot! –
Ha! du wärst Obrigkeit von Gott?
Gott spendet Segen aus; du raubst!
Du nicht von Gott, Tyrann!
*
Otto Ernst (Otto Ernst Schmidt, 1862-1926), deutscher Dichter und Schriftsteller 1901, „Nis Randers“ (vgl. hier: https://de.metapedia.org/wiki/Ernst,_Otto, ggf. auch hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Nis_Randers):
Krachen und Heulen und berstende Nacht,
Dunkel und Flammen in rasender Jagd –
Ein Schrei durch die Brandung!
Und brennt der Himmel, so sieht man’s gut.
Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut;
Gleich holt sich’s der Abgrund.
Nis Randers lugt – und ohne Hast
Spricht er: „Da hängt noch ein Mann im Mast;
Wir müssen ihn holen.“
Da faßt ihn die Mutter: „Du steigst mir nicht ein!
Dich will ich behalten, du bliebst mir allein,
Ich will’s, deine Mutter!
Dein Vater ging unter und Momme, mein Sohn;
Drei Jahre verschollen ist Uwe schon,
Mein Uwe, mein Uwe!“
Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach!
Er weist nach dem Wrack und spricht gemach:
„Und seine Mutter?“
Nun springt er ins Boot und mit ihm noch sechs:
Hohes, hartes Friesengewächs;
Schon sausen die Ruder.
Boot oben, Boot unten, ein Höllentanz!
Nun muß es zerschmettern...! Nein, es blieb ganz…!
Wie lange? Wie lange?
Mit feurigen Geißeln peitscht das Meer
Die menschenfressenden Rosse daher;
Sie schnauben und schäumen.
Wie hechelnde Hast sie zusammenzwingt!
Eins auf den Nacken des anderen springt
Mit stampfenden Hufen!
Drei Wetter zusammen! Nun brennt die Welt!
Was da? – Ein Boot, das landwärts hält –
Sie sind es! Sie kommen! – –
Und Auge und Ohr ins Dunkel gespannt...
Still – ruft da nicht einer? – Er schreit’s durch die Hand:
„Sagt Mutter, ’s ist Uwe!“
Otto Ernst, in: Schützensprüche: „Freund, halte die Brust nicht allzu keck den Pfeilen / der Feinde offen; / denn hast du das Herz auf dem rechten Fleck, / so wird es sicher getroffen.“
Otto Ernst, in: Vom Strande des Lebens, Meersymphonie: „Ein Trostgeschenk Gottes an die Menschheit ist die Kunst, ein Vorgeschmack unsrer Vollendung. Ein Künstler ist ein Mensch, der selige Sinne hat. Seine Sinne hören aus Felsen und Bäumen Worte und Töne eines höheren Lebens und sie sehen in Worten und Tönen Bäume und Felsen einer beglückteren Welt. Und sein Auge vermag hunderttausend Augen aufzutun, daß sie wie er die stillgeschäftigen Geister ahnen, die über Berg und Tal die Schleier eines neuen Lichtes weben.“
*
Brentano, Clemens (Clemens Wenzeslaus Brentano de La Roche, 1778-1842), deutscher Schriftsteller, neben Achim von Arnim der Hauptvertreter der sog. Heidelberger Romantik, Bruder von Bettina von Arnim; 1801, „Sprich aus der Ferne…“:
Sprich aus der Ferne
Heimliche Welt,
Die sich so gerne
Zu mir gesellt.
Wenn das Abendrot niedergesunken,
Keine freudige Farbe mehr spricht,
Und die Kränze still leuchtender Funken
Die Nacht um die schattigte Stirne flicht:
Wehet der Sterne
Heiliger Sinn
Leis durch die Ferne
Bis zu mir hin.
Wenn des Mondes still lindernde Tränen
Lösen der Nächte verborgenes Weh;
Dann wehet Friede. In goldenen Kähnen
Schiffen die Geister im himmlischen See.
Glänzender Lieder
Klingender Lauf
Ringelt sich nieder,
Wallet hinauf.
Wenn der Mitternacht heiliges Grauen
Bang durch die dunklen Wälder hinschleicht,
Und die Büsche gar wundersam schauen,
Alles sich finster tiefsinnig bezeugt:
Wandelt im Dunkeln
Freundliches Spiel,
Still Lichter funkeln
Schimmerndes Ziel.
Alles ist freundlich wohlwollend verbunden,
Bietet sich tröstend und traurend die Hand,
Sind durch die Nächte die Lichter gewunden,
Alles ist ewig im Innern verwandt.
Sprich aus der Ferne
Heimliche Welt,
Die sich so gerne
Zu mir gesellt.
(Vgl. ggf.: https://lyrik.antikoerperchen.de/sprich-aus-der-ferne-clemens-brentano,text,924.html.)
*
Erich Limpach (1899-1965), deutscher Dichter, Lyriker, Aphoristiker, vgl. hier: https://de.metapedia.org/wiki/Limpach,_Erich, um 1950:
Gemeinschaft.
Das Wir der Masse ist kein Fundament
Auf dem ein Volk die letzte Not besteht.
Und auch das Ich, das nur sich selber kennt,
wird gleich der Spreu von leichtem Wind
verweht.
Doch wo ein jeder nach Vollendung strebt
Und wahrhaft frei im Werk zum Ganzen dingt,
dort wächst Gemeinschaft, die kein Sturm
erbebt,
der auch das Schwerste herrlich noch gelingt.
Erich Limpach: Von Ringen und Rasten.
Gedichte und Sprüche von Erich Limpach, Ludendorffs
Verlag GmbH. München 19, 1936.
Erich Limpach, Zitat: „Der Wert eines Staates bemißt sich nach dem Grade der in ihm herrschenden Geistesfreiheit.“
*
Friedrich von Schiller (1759-1805), deutscher Dichter, Historiker, Philosoph, 1797:
Drei Worte des Glaubens.
Drei Worte nenn ich euch, inhaltschwer,
Sie gehen von Munde zu Munde,
Doch stammen sie nicht von außen her,
Das Herz nur gibt davon Kunde;
Dem Menschen ist aller Wert geraubt,
Wenn er nicht mehr an die drei Worte glaubt.
Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei,
Und würd er in Ketten geboren,
Laßt euch nicht irren des Pöbels Geschrei,
Nicht den Mißbrauch rasender Toren.
Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht,
Vor dem freien Menschen erzittert nicht.
Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall,
Der Mensch kann sie üben im Leben,
Und sollt er auch straucheln überall,
Er kann nach der göttlichen streben;
Und was kein Verstand der Verständigen sieht,
Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt.
Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt,
Wie auch der menschliche wanke,
Hoch über der Zeit und dem Raume webt
Lebendig der höchste Gedanke,
Und ob alles in ewigem Wechsel kreist,
Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist.
Die drei Worte bewahret euch, inhaltschwer,
Sie pflanzet von Munde zu Munde,
Und stammen sie gleich nicht von außen her,
Euer Innres gibt davon Kunde;
Dem Menschen ist nimmer sein Wert geraubt,
Solang er noch an die drei Worte glaubt.
*
Ambrosius (Ambrosius von Mailand, 339-397), Politiker, Kirchenlehrer der Spätantike, Bischof von Mailand, zugeschrieben; gefunden in: Axel Kühner, „Zuversicht für jeden Tag“, Aussaat-Verlag, D-Neukirchen-Vluyn, ISBN: 3-7615-5083-9:
Hymnus am Morgen.
Schon zieht herauf
des Tages Licht,
wir flehn zu Gott
voll Zuversicht:
Bewahre uns an
diesem Tag
vor allem, was uns
schaden mag.
Bezähme unsrer Zunge
Macht,
daß sie nicht Haß
und Streit entfacht;
laß unsrer Augen
hellen Schein,
durch Böses nicht
verdunkelt sein.
Rein sei das Herz
und unversehrt
und allem Guten
zugekehrt.
Und gib uns jeden
Tag das Brot
Für unsre und der
Brüder Not.
Senkt sich hernieder
dann die Nacht
Und ist das Tagewerk
vollbracht,
sei Dir all unser
Tun geweiht
zum Lobe Deiner
Herrlichkeit.
Dich, Vater, Sohn
und Heil’ger Geist,
voll Freude alle
Schöpfung preist,
der jeden neuen Tag
uns schenkt
und unser ganzes
Leben lenkt.
Amen.
*
Giannina Wedde (*1974), studierte Germanistik, Philosophie, Publizistik und Theaterwissenschaft:
Nachtgebet.
Leg
deine Ängste nieder.
Für eine Nacht nur gib den Sternen, was dich sorgt.
Es kehrt die Ruhe wieder,
denn alle Dinge, die wir halten, sind geborgt.
Du darfst die Augen schließen,
du darfst vergessen, was dich eben noch gebeugt.
Das Blau der Nacht laß fließen,
das eine namenlose Liebe treu bezeugt.
Du bist von ihr umgeben,
laß nun den Dingen ihren Lauf und schlafe ein.
Du bist beschenkt mit Leben.
Ein jeder Morgen lockt dich zärtlich, Licht zu sein.
*
William Wordsworth (1770-1850), maßgeblicher Dichter der englischen Romantikbewegung:
Verse geschrieben im Vorfrühling.
Umschwirrt von tausendstimmigem Lied,
Lag ich im Grase hingestreckt,
Mit sanfter Freude im Gemüt,
Die leicht in uns die Trauer weckt.
Ihr stolzes Werk verknüpft Natur
Der Menschenseele, die hier wacht;
Drum schmerzt es mich, zu denken nur,
Wozu der Mensch den Menschen macht.
Durch Primelbüsche jener Laube,
Schlingt seinen Kranz das Immergrün,
Und jede Blume – ist mein Glaube –
Freut sich der Luft in ihrem Blühn.
Ich hört der Vögel frohes Singen,
Ihr Denken war mir nicht bewußt.
Der kleinste doch von ihren Sprüngen,
Erschien mir jauchzend helle Lust.
Der Baum schwillt knospend in den Zweigen
Und trinkt die Luft, die ihn umspielt,
Und nie will meine Ahnung schweigen,
Daß alles dies die Freude fühlt.
Kann den Gedanken ich nicht hindern,
Der diesen Glauben mir gebracht,
Wie soll die Klage sich vermindern,
Wozu der Mensch den Menschen macht?
*
Heinrich von Littrow (1820-1895), österreichischer Kartograph, Fregattenkapitän, Schriftsteller:
Die
Liebe gleicht der Welle,
Die
plätschernd sich erhebt,
Wer
weiß, woher sie flutet,
Wer
weiß, wohin sie schwebt;
Wer
weiß, ob sie uns schaukelnd
Nicht
sanft zum Hafen bringt,
Wer
weiß, ob sie als Woge
Nicht
unser Schiff verschlingt.
*
Detlev von Liliencron (1844-1909), einer der bedeutendsten Lyriker seiner Zeit, Prosa- und Bühnenautor des Impressionismus und Naturalismus:
Was ist die Liebe?
Was ist die Liebe? Ist’s ein heller Stern,
Der plötzlich leuchtet, den wir nie geschaut?
Ist’s ein Erinnern, das unnennbar fern
Uns dünkt und nun in unserer Seele taut,
Jäh aus der Schale springt und einen Kern
Uns zeigt, so voller Süße, daß uns graut?
Ich bin dir gut. Du bist mir gut. Nichts weiter.
Dann klimmen wir hinauf die Himmelsleiter.
*
Johann Gottfried Kinkel (1815-1882), deutscher evangelischer Theologe, Professor für Kunst-, Literatur und Kulturgeschichte, Schriftsteller, Kirchenliedautor, demokratischer Politiker:
Ein geistlich Abendlied.
Es
ist so still geworden,
Verrauscht des Abends Wehn,
Nun hört man allerorten
Der Engel Füße gehn,
Rings in die Thale senket
Sich Finsternis mit Macht –
Wirf ab, Herz, was dich kränket
Und was dir bange macht!
Es
ruht die Welt im Schweigen,
Ihr Tosen ist vorbei,
Stumm ihrer Freude Reigen
Und stumm ihr Schmerzenschrei.
Hat Rosen sie geschenket,
Hat Dornen sie gebracht –
Wirf ab, Herz, was dich kränket
Und was dir bange macht!
Und
hast du heut gefehlet,
O schaue nicht zurück;
Empfinde dich beseelet
Von freier Gnade Glück.
Auch des Verirrten denket
Der Hirt auf hoher Wacht –
Wirf ab, Herz, was dich kränket
Und was dir bange macht!
Nun
stehn im Himmelskreise
Die Stern’ in Majestät;
In gleichem festem Gleise
Der goldne Wagen geht.
Und gleich den Sternen lenket
Er deinen Weg durch Nacht –
Wirf ab, Herz, was dich kränket
Und was dir bange macht!
*
Gerhard Schöne (*1952), deutscher Liedermacher, erhielt 1989 den Nationalpreis der DDR:
Die Seele bewahren.
Deine Seele ist ein
Vogel,
stutze ihm die
Flügel nicht,
denn er will sich
doch erheben
aus der Nacht ins
Morgenlicht.
Deine Seele ist ein
Vogel,
stopf nicht alles in
ihn rein.
Er wird zahm und
satt und träge,
stirbt den Tod am
Brot allein.
Deine Seele ist ein
Vogel,
schütze ihn nicht
vor dem Wind.
Erst im Sturm kann
er dir zeigen,
wie stark seine
Flügel sind.
Deine Seele ist ein
Vogel,
und er trägt in sich
ein Ziel.
Doch wird zu oft
geblendet,
weiß er nicht mehr,
was er will.
Deine Seele ist ein
Vogel.
Hörst Du ihn vor
Sehnsucht schrein,
darfst den Schrei Du
nicht ersticken,
bleibt er stumm,
wirst Du zum Stein.
Deine Seele ist ein
Vogel,
stutze ihm die
Flügel nicht,
denn er will sich
doch erheben
aus der Nacht ins
Morgenlicht.
*
Manfred Siebald (*1948), deutscher christlicher Liedermacher, ehemaliger Professor für Amerikanistik:
Was uns bleibt.
Was uns bleibt
von unserem Lebenstanz,
ist nicht das Lachen,
nicht die Lust,
die Schönheit und der Glanz.
Was uns bleibt
von unserem Lebensfleiß,
ist nicht die Arbeit,
nicht der Lohn,
die Mühe und der Schweiß.
Die Liebe bleibt.
Was wir aus Liebe tun,
das bleibt besteh’n,
auch wenn es still geschieht
und ungeseh’n,
wenn es nur Liebe ist,
die uns hier treibt,
die Liebe bleibt.
Die Liebe bleibt.
Was Gott aus Liebe tat,
das bleibt besteh’n
und das kann heute noch
bei uns gescheh’n,
wo seine Liebe uns zur Liebe treibt -
Die Liebe bleibt.
*
Der Urtext ‚Die Rose‘ stammt von der US-amerikanischen Schauspielerin, Sängerin, Songschreiberin und Kabarettistin Amanda McBroom (*1947). Sie hat ihn für das fulminante Filmwerk von 1979 „The Rose“ geschrieben (https://de.wikipedia.org/wiki/The_Rose_(Film)), in dem die US-amerikanische Sängerin, Schauspielerin, Komikerin und Autorin Bette Midler (*1945; https://de.wikipedia.org/wiki/Bette_Midler) den Rockstar Mary Rose Foster – ‚Rose‘, wie sie von ihren Fans liebevoll genannt wird – verkörpert. Die Handlung, die im Jahr 1969 spielt, ist an die Biographie von Janis Joplin (1943-1970; https://de.wikipedia.org/wiki/Janis_Joplin) angelehnt. Als Idol ihrer Generation gefeiert, zerbricht die exzentrische, cholerische Rose an den Zwängen, den Einflüssen und Gegenwirkungen des öffentlichen Prestiges. Gefangen in einem mörderischen Hexenkessel aus Triumph und Niederlage, zerrissen zwischen Verherrlichung und tiefster Verlassenheit, erliegt Rose am Ende der seelischen und körperlichen Haltlosigkeit. Grandiose mitreißende, elektrisierende Live-Auftritte stehen der verwerflichen Seite des Ruhms gegenüber. Mehrfach wurde Bette Midlers Interpretation des Liedes ‚Die Rose‘ (im Abspann des Films) ausgezeichnet:
Some say
love it is a river
That drowns the tender reed.
Some say love it is a razor
That leaves your soul to bleed.
Some say love it is a hunger
An endless, aching need
I say love it is a flower,
And you it's only seed.
It's the heart afraid of breaking
That never learns to dance
It's the dream afraid of waking
That never takes the chance.
It's the one who won't be taken,
Who cannot seem to give
And the soul afraid of dying
That never learns to live.
And the night has been too lonely
And the road has been too long.
And you think that love is only
For the lucky and the strong.
Just remember in the winter
Far beneath the bitter snow
Lies the seed that with the sun's love,
In the Spring becomes the Rose.
Die deutsche Version:
Einige sagen, die Liebe ist ein Fluß, der das
zarte Schilf erdrückt.
Andere sagen, die Liebe ist ein Rasiermesser, das deine Seele tief verletzt.
Einige sagen, die Liebe ist der Hunger der
Seele, eine tiefe, verlangende Sehnsucht.
Ich sage, die Liebe ist wie eine Blume, und du ihr einziger Samen.
Jenes Herz, das Angst vor der Enttäuschung hat, lernt niemals tanzen.
Jener Traum, der das Erwachen fürchtet, wagt niemals die Verwirklichung.
Wer sich nie ergreifen läßt, kann auch nicht
geben,
und die Seele, die den Tod fürchtet, kann nie lernen zu leben.
Wenn du in der Nacht zu oft einsam warst und der Weg endlos scheint,
denkst du vielleicht, die Liebe sei nur für die Glücklichen und Starken.
Aber vergiß nicht, unter dem tiefen Winterschnee liegt der
Samen, aus dem mit der Liebe der Sonne im Frühjahr die Rose wird.
Hier auch die populäre und schlagertauglichere Fassung, wie sie von vielen deutschsprachigen Sängerinnen und Sängern interpretiert wurde:
Liebe ist wie wildes
Wasser, das sich durch Felsen zwängt.
Liebe ist so wie ein Messer, das dir im Herzen brennt.
Sie ist süß und sie ist bitter. Ein Sturm, ein Wind, ein Hauch.
Für mich ist sie eine Rose, für dich ein Dornenstrauch.
Wer nie weint und
niemals trauert, der weiß auch nichts vom Glück.
Wer nur sucht, was ewig dauert, versäumt den Augenblick.
Wer nie nimmt, kann auch nicht geben und wer sein Leben lang
immer Angst hat vor dem Sterben, fängt nie zu leben an.
Wenn du denkst, du bist verlassen und kein Weg führt aus der Nacht,
fängst du an die Welt zu hassen, die nur andre glücklich macht.
Doch vergiss nicht an dem Zweig dort, der im Schnee bei Nacht erfror,
blüht im Frühjahr eine Rose so schön wie nie zuvor.
*
Der Sommerfaden.
Da fliegt, als wir
im Felde gehen,
ein Sommerfaden
über Land,
ein leicht und
licht Gespinst der Feen,
und knüpft von mir
zu ihr [Dir] ein Band.
Ich nehm ihn für
ein günstig Zeichen,
ein Zeichen, wie
die Lieb es braucht.
Oh Hoffnungen der
Hoffnungsreichen,
aus Duft gewebt,
von Luft zerhaucht!
*
Rainer Maria Rilke (1875-1926), deutscher Lyriker:
Ich fürchte mich.
Ich
fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie
sprechen alles so deutlich aus:
und
dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und
hier ist der Beginn und das Ende ist dort.
Mich
bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie
wissen alles, was wird und war,
kein
Berg ist ihnen mehr wunderbar,
ihr
Garten und Gut grenzt gerade an Gott.
Ich
will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die
Dinge singen hör ich so gern.
Ihr
rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr
bringt mir alle die Dinge um.
*
Bertolt Brecht (Eugen Berthold Friedrich Brecht, 1898-1956), deutscher Dramatiker und Lyriker, Begründer des epischen bzw. dialektischen Theaters:
Mein
Sohn, was immer auch aus dir werde,
Sie
stehn mit Knüppeln bereit schon jetzt,
Denn
für dich, mein Sohn, ist auf dieser Erde
Nur
der Schuttablagerungsplatz da, und der ist besetzt.
Mein
Sohn, laß es dir von deiner Mutter sagen:
Auf
dich wartet ein Leben, schlimmer als die Pest.
Aber
ich habe dich nicht dazu ausgetragen,
Daß
du dir das einmal ruhig gefallen läßt.
Was
du nicht hast, das gib nicht verloren.
Was
sie dir nicht geben, sieh zu, daß du’s kriegst.
Ich,
deine Mutter, habe dich nicht geboren,
Daß
du einst des Nachts unter Brückenbogen liegst.
Vielleicht
bist du nicht aus besonderem Stoffe,
Ich
habe nicht Geld für dich noch Gebet,
Und
ich baue auf dich allein, wenn ich hoffe,
Daß
du nicht an Stempelstellen lungerst und deine Zeit vergeht.
Wenn
ich nachts schlaflos neben dir liege,
Fühle
ich oft nach deiner kleinen Faust.
Sicher,
sie planen mit dir jetzt schon Kriege -
Was
soll ich nur machen, daß du nicht ihren dreckigen Lügen traust?
Deine
Mutter, mein Sohn, hat dich nicht betrogen,
Daß
du etwas ganz Besonderes seist.
Aber
sie hat dich auch nicht mit Kummer aufgezogen,
Daß
du einst im Stacheldraht hängst und nach Wasser schreist.
Mein
Sohn, darum halte dich an deinesgleichen,
Damit
ihre Macht wie ein Staub zerstiebt.
Du,
mein Sohn, und ich und alle unsresgleichen,
Müssen
zusammenstehn und müssen erreichen,
Daß
es auf dieser Welt nicht mehr zweierlei Menschen gibt.
*
Hilde Fürstenberg (1902-2005), deutsche Schriftstellerin, Verlegerin, Präsidentin der Knut-Hamsun-Gesellschaft:
Weht im Schnee.
Weht im Schnee ein
Weihnachtslied
Leise über Stadt und
Felder.
Sternenhimmel
niedersieht
und der Winternebel
zieht
um die dunklen
Tannenwälder.
Weht im Schnee ein
Weihnachtsduft
Träumerisch durch
dicke Flocken,
füllt die schwere
Winterluft
und aus weichen
Wolken ruft
sanft der Klang der
Kirchenglocken.
Geht durch Schnee
ein Weihnachtskind
Liebend über kalte
Erde,
geht dahin und
lächelt lind,
hoffend, daß wir
gütig sind
und die Menschheit
besser werde.
*
Rudolf Otto Wiemer (1905-1998), deutscher Lyriker,
Puppenspieler und Pädagoge:
Es geht ein heimlich Funkeln
durch alle Welt verhüllt.
Es steht ein Stern im Dunkeln,
die Zeit ist nun erfüllt.
Die Hirten in den Flocken
haben nicht Haus noch Licht.
Bald wird ein Wort frohlocken,
das heißt: Fürchtet euch nicht!
Ein Kind wird uns geboren
im Stall bei Lamm und Stier.
Die Welt ist nicht verloren:
Das Himmelreich ist hier.
*
Von guten Mächten - von Dietrich Bonhoeffer (1906-1945), lutherischer Theologe, Vertreter der Bekennenden Kirche, Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, verfasst im Dezember 1944 als letzter erhaltener theologischer Text vor seiner Hinrichtung am 09.04.1945, hier entnommen aus: Eberhard Bethge: Erstes Gebot und Zeitgeschichte. Aufsätze und Reden 1980-1990, Chr. Kaiser Verlag, München 1991 in der korrigierten Fassung nach erstmaliger Sichtung einer Xerokopie des Originalbriefes; vgl. auch hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Von_guten_M%C3%A4chten_treu_und_still_umgeben:
Von guten Mächten treu und still umgeben,
Behütet und getröstet wunderbar,
So will ich diese Tage mit euch leben
Und mit euch gehen in ein neues Jahr.
Noch will das alte unsre Herzen quälen,
Noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach, Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
Das Heil, für das du uns geschaffen hast.
Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
Des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
So nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
Aus deiner guten und geliebten Hand.
Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
An dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
Dann wolln wir des Vergangenen gedenken
Und dann gehört dir unser Leben ganz.
Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
Die du in unsre Dunkelheit gebracht.
Führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.
Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
So lass uns hören jenen vollen Klang
Der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
All deiner Kinder hohen Lobgesang.
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
Erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
Und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
*
Lothar Zenetti (1926-2019), deutscher römisch-katholischer Theologe, Priester, Schriftsteller, in: Auf Seiner Spur – Texte gläubiger Zuversicht, Topos 327, Matthias-Grünewald-Verlag, Ostfildern, 4. Auflage, 2006:
Mut.
Was keiner wagt, das sollt ihr wagen.
Was keiner ausspricht, das sagt heraus.
Was keiner denkt, das wagt zu denken.
Was keiner anfängt, das führt aus.
Wenn keiner ja sagt, sollt ihr’s sagen.
Wenn keiner nein sagt, sagt doch nein.
Wenn alle zweifeln, dann wagt zu glauben.
Wenn alle mittun, steht allein.
Wo alle loben, da habt Bedenken.
Wo alle spotten, spottet nicht.
Wo alle geizen, da wagt zu schenken.
Wo alles dunkel ist, macht Licht.
*
Zeit für das Wesentliche - von Elli Michler (1923-2014), deutsche Lyrikerin:
Ich
wünsche dir nicht alle möglichen Gaben.
Ich
wünsche dir nur, was die meisten nicht haben:
Ich
wünsche dir Zeit, dich zu freun und zu lachen,
und
wenn du sie nützt, kannst du etwas draus machen.
Ich
wünsche dir Zeit für dein Tun und dein Denken,
nicht
nur für dich, sondern auch zum Verschenken.
Ich
wünsche dir Zeit - nicht zum Hasten und Rennen,
sondern
die Zeit zum Zufrieden sein können.
Ich
wünsche dir Zeit, nach den Sternen zu greifen,
und
Zeit, um zu wachsen, das heißt, um zu reifen.
Ich
wünsche dir Zeit auch zum Schulden vergeben.
Ich
wünsche dir: Zeit zu haben zum Leben!
*
Laotse
(auch: Lao Tse, Laudse, Laozi, „Alter Meister“, zwischen dem 3. und 6. Jh. vor
Christus), legendärer chinesischer Philosoph; das bekannteste ihm
zugeschriebene und Hauptwerk des Taoismus ist das Tao-Te-King:
Ohne Liebe.
Pflicht
ohne Liebe macht verdrießlich
Verantwortung ohne Liebe macht rücksichtslos
Gerechtigkeit ohne Liebe macht hart
Wahrheit ohne Liebe macht kritiksüchtig
Erziehung ohne Liebe macht widerspruchsvoll
Klugheit ohne Liebe macht gerissen
Freundlichkeit ohne Liebe macht heuchlerisch
Ordnung ohne Liebe macht kleinlich
Sachkenntnis ohne Liebe macht rechthaberisch
Macht ohne Liebe macht gewalttätig
Ehre ohne Liebe macht hochmütig
Besitz ohne Liebe macht geizig
Glaube ohne Liebe macht fanatisch.
*
Joseph von Eichendorff (Joseph Karl Benedikt
Freiherr von Eichendorff, 1788-1857), bedeutender Lyriker, Prosadichter und
Schriftsteller der Romantik, gehört mit etwa 5000 Liedern zu den meistvertonten
deutschsprachigen Lyrikern, 1826:
Der Abend.
Schweigt der Menschen laute Lust:
Rauscht die Erde wie in Träumen
Wunderbar mit allen Bäumen,
Was dem Herzen kaum bewußt,
Alte Zeiten, linde Trauer,
Und es schweifen leise Schauer
Wetterleuchtend durch die Brust.
*
Paul Gerhard (1607-1676), evangelisch-lutherischer Theologe, gilt darüber hinaus als bedeutendster deutschsprachiger Kirchenlieddichter. „Nun ruhen alle Wälder“ erschien erstmals 1646 im Gesangbuch ‚Praxis Pietatis Melica‘ von Johann Crüger unter ‚Tägliche Abendgesänge‘:
Nun
ruhen alle Wälder,
Vieh, Menschen, Städt’ und Felder,
es schläft die ganze Welt;
ihr aber, meine Sinnen,
auf, auf, ihr sollt beginnen,
was eurem Schöpfer wohlgefällt.
Wo bist du, Sonne, blieben?
Die Nacht hat dich vertrieben,
die Nacht, des Tages Feind.
Fahr hin, ein andre Sonne,
mein Jesus, meine Wonne,
gar hell in meinem Herzen scheint.
Der Tag ist nun vergangen,
die güldnen Sternlein prangen
am blauen Himmelssaal;
also werd ich auch stehen,
wenn mich wird heißen gehen
mein Gott aus diesem Jammertal.
Der Leib eilt nun zur Ruhe,
legt ab das Kleid und Schuhe,
das Bild der Sterblichkeit;
die zieh ich aus, dagegen
wird Christus mir anlegen
den Rock der Ehr und Herrlichkeit.
Das Haupt, die Füß und Hände
sind froh, dass nun zum Ende
die Arbeit kommen sei.
Herz, freu dich, du sollst werden
vom Elend dieser Erden
und von der Sünden Arbeit frei.
Nun geht, ihr matten Glieder,
geht hin und legt euch nieder,
der Betten ihr begehrt.
Es kommen Stund und Zeiten,
da man euch wird bereiten
zur Ruh ein Bettlein in der Erd.
Mein Augen stehn verdrossen,
im Nu sind sie geschlossen.
Wo bleibt dann Leib und Seel?
Nimm sie zu deinen Gnaden,
sei gut für allen Schaden,
du Aug und Wächter Israel’.
Breit aus die Flügel beide,
o Jesu, meine Freude,
und nimm dein Küchlein ein!
Will Satan mich verschlingen,
so lass die Englein singen:
Dies Kind soll unverletzet sein.
Auch euch, ihr meine Lieben,
soll heute nicht betrüben
kein Unfall noch Gefahr.
Gott lass euch selig schlafen,
stell euch die güldnen Waffen
ums Bett und seiner Engel Schar.
*
Günter Eich (1907-1972), deutscher Hörspielautor und Lyriker, bekannt geworden vor allem durch seine Nachkriegsgedichte; dieses hier ist etwa 1935 von ihm verfasst worden:
Fürchte dich nicht.
Spute dich, die
Wölfe sind unterwegs im Schnee,
Springflut an
den Küsten,
der Hai, wenn du
ein Fisch bist.
In den Druckereien
werden die Texte gesetzt.
Übe dich, das
Weiße in den Buchstaben zu lesen.
Es gibt eine
Rettung.
Vögel, die um
Futter kommen,
behalten dein
Bild auf der Netzhaut.
Schaue sie
furchtlos an und verhänge die Fenster nicht!
Die Lichter, am
Abend freundlich angezündet,
sind
Raubtieraugen.
Sie haben einen
Kreis um dich gezogen,
aber sie zögern,
verwundert über deine Zuversicht.
Die Wölfe werden
deine Spur verlieren;
Die Springflut
wird erstarren im plötzlichen Frost,
der Hai in die
Tiefe sinken.
*
Eduard Mörike (1804-1874), deutscher lyrischer Dichter; seine Liebes- und Naturgedichte gehören zu den schönsten der deutschen Literatur:
Herr!
schicke, was Du willst,
Ein
Liebes oder Leides,
Ich
bin vergnügt, dass beides
Aus
Deinen Händen quillt.
Wollest
mit Freuden
Und
wollest mit Leiden
Mich
nicht überschütten.
Doch
in der Mitten
Liegt
holdes Bescheiden.
*
Paulo Coelho de Souza (*1947), brasilianischer Schriftsteller, sein bekanntester Roman ‚Der Alchimist‘ wurde in 81 Sprachen übersetzt (vgl. hier):
(Es besteht Unsicherheit hinsichtlich der Autorenschaft, andere Quellen schreiben das Gedicht Hermann Hesse zu, insbesondere die letzten sechs Zeilen finden sich in keinem aller auffindbaren Coelho-Zitate. Zugleich aber läßt sich auch keine verbürgte Hesse-Quelle ermitteln. Wir wären dankbar, könnte uns jemand die Originalquelle bei Coelho bezeichnen. Hier unser Kontaktformular. Dankeschön!)
Danke.
Ich danke allen,
die meine Träume belächelt haben.
Sie haben meine Phantasie beflügelt.
Ich danke allen,
die mich in ihr Schema pressen wollten.
Sie haben mich den Wert der Freiheit gelehrt.
Ich danke allen,
die mich belogen haben.
Sie haben mir die Kraft der Wahrheit gezeigt.
Ich danke allen,
die nicht an mich gelaubt haben.
Sie haben mich veranlaßt, Berge zu versetzen.
Ich danke allen,
die mich abgeschrieben haben.
Sie haben meinen Mut geweckt.
Ich danke allen,
die mich verlassen haben.
Sie haben mir Raum für Neues gegeben.
Ich danke allen,
die mich verraten und mißbraucht haben.
Sie haben mich wachsam werden lassen.
Ich danke allen,
die mich verletzt haben.
Sie haben mich gelehrt, im Schmerz zu wachsen.
Ich danke allen,
die meinen Frieden gestört haben.
Sie haben mich starkgemacht, dafür einzutreten.
Ich danke allen,
die mich verwirrt haben.
Sie haben mir meinen Standpunkt klar gemacht.
Vor allem aber danke ich denen,
die mich so lieben, wie ich bin.
Sie gaben mir die Kraft zum Leben.
Der Weg der meisten ist
leicht.
Aber wenn man einmal das andere weiß,
dann hat man die Wahl nicht mehr,
den Weg der meisten zu gehen.
Der Weg der meisten ist leicht,
unserer ist schwer.