DR. GERHARD BRANSTNER
25.05.1928-18.08.2008
Deutscher Erzähler,
Philosoph, Essayist, Kulturtheoretiker, Aphoristiker, Schriftsteller, Dramatiker,
Theaterregisseur.
1980 promovierte der studierte Philosoph mit der Dissertation „Die Kunst des Humors“; es folgen Jahre als Hochschullehrer, Cheflektor des Eulenspiegel-Verlags, als freischaffender Autor; 2000 scheitert ein Parteiausschlußverfahren der PDS; G. Branstner ruft die Internetzeitschrift „Die Hornisse“ ins Leben, in der er seine Ideen zur ‚Theorie des wirklichen Sozialismus‘ publiziert; methodisch begründet er die „Technik der heiteren Verstellung“: durch „systemsprengende Heiterkeit“ entwaffnet und verkehrt sie jede Art ideologischer Dogmen; folgerichtig geht er als stilsicherer Autor mit den sog. Koryphäen und Spezialgebieten genial respektlos um, verkürzt komplizierte Sachverhalte auf pointierte Kernsätze; zuletzt (1997) lautet sein Credo: „Die konsequente Kritik des Marxismus ist seine Fortsetzung“.
Foto von Ingrid Kandel, abgedruckt in:
Weimarer Beiträge, 1987, Nr. 5, 33. Jahrgang.
(Bis wir Frau Kandel ausfindig gemacht und sie um Veröffentlichungsrecht gebeten haben,
muß das Bild als
urheberrechtlich geschützt betrachtet werden.)
Folgend
Auszüge aus: Gerhard Branstner, „Die Welt in Kurzfassung“, Kai Homilius Verlag,
Berlin, 2000.
161
Sentenzen über die eigentliche Revolution, das Naturgesetz des Menschen, den
Kapitalismus und die drei kopernikanischen Wenden.
Auszugsweise hier als PDF; in letzten Exemplaren zu
beziehen hier.
39
…
Nur indem der Mensch sich anpaßt, entwickelt er sich, und er entwickelt sich,
indem er sich auf seine Weise anpaßt. Der Zugvogel flieht vor dem Winter nach
dem warmen Süden, der Mensch heizt den Ofen an. Das ist der Unterschied. Der
Mensch nimmt nicht eine Veränderung mit sich vor, er verändert seine Umwelt.
Der Mensch unterscheidet sich vom Tier dadurch, daß er sich der Natur anpaßt,
indem er die Natur sich anpaßt. Er verändert sie zu seinen Zwecken. Aber er
verändert auch sich: Er organisiert sich als gesellschaftliches Wesen. Die
gesellschaftliche Organisation, ihre Notwendigkeit, ist nur zu verstehen, wenn
sie als das dem Menschen eigene Organ der Anpassung verstanden wird. Das ist
die natürliche Funktion der gesellschaftlichen Organisation des Menschen. Von
den Produktionsinstrumenten und Produktionsverhältnissen, den
Klassenstrukturen, von Staat, Justiz usw. bis zu den Wissenschaften, Moral,
Kultur ist die gesellschaftliche Organisation Organ der Anpassung [des Menschen
an die Natur (wiederkehrende Anm. d. Red.)]. Und bestimmt folglich deren Form.
44
Und
indem die Anpassung die gesellschaftliche Organisation zu ihrem Organ
macht, macht sie die Gesellschaftsordnungen zu ihrer Funktion. Im Besonderen
gibt sie dem Übergang von der Vorgeschichte zur eigentlichen Revolution den
tieferen Sinn und Inhalt. Die
eklatante Verletzung eines Gesetzes der Natur, des Gesetzes der Anpassung, der
Einheit von Mensch und Natur, als Folge der Verletzung des gesellschaftlichen
Gesetzes der Harmonie von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen findet
nur einmal statt. Es ist die Probe darauf, ob der Mensch eine Fehlleistung der
Natur ist oder nicht.
45
Wenn
die Menschheit in die ökologische Krise geraten ist, muß die Gesellschaft ein
für allemal bewußt als Organ der Anpassung [des Menschen an die Natur] organisiert
werden. Erst damit verläßt die Menschheit ihre Vorgeschichte und tritt in ihre
eigentliche Geschichte ein.
46
Die
Realisierung des Gesetzes der Anpassung als natürliche Freiheit setzt die
Realisierung der sozialen Freiheit voraus. Mit anderen Worten: Das Gesetz der
Anpassung bestimmt, welche Art von Gesellschaft nötig ist, um die Anpassung zu
realisieren. Wir müssen unsere Vorstellungen vom Übergang der einen
Gesellschaft in die andere grundlegend ändern. Die Gesellschaft muß als Organ
der Anpassung [des Menschen an die Natur] eingerichtet werden, angefangen von
der Art des Eigentums, der Produktionsweise über Produktionsstrukturen und
ökonomischen Wertsetzungen bis zum Verhältnis von Erster und Dritter Welt. Das
Gesetz verlangt eine bestimmte Organisation der Gesellschaft, es verlangt die
Gesellschaft als funktionsfähiges Organ der Anpassung [des Menschen an die
Natur]. Und nur eine Gesellschaft, die diese Funktion erfüllt, kann
sozialistisch und schließlich kommunistisch genannt werden. In diesem Sinne
führt Darwin logisch genommen zum Kommunismus. Auch wenn Darwin wie Marx keine
Vorstellung von dieser Logik hatte.
52
Da
der Kapitalismus unfähig ist, dem Gesetz der Anpassung zu genügen, kann nur der
wirkliche Sozialismus die Alternative sein. Ein anderer Schluß bleibt nicht
übrig. Eine Menschheit, die überleben will, muß zu diesem Schluß kommen. Wenn
nicht anders, wird sie dahin geprügelt werden. Die Reduzierung der natürlichen
Existenzbedingungen ist ein Prozeß, in dessen Verlauf die Menschheit immer
schmerzlichere und schließlich unerträgliche körperliche und seelische Schäden
erleiden wird. Der Absturz auf das Niveau des Höhlenmenschen ist da noch die
freundlichste Aussicht. Die Prügel, die uns die geschändete Natur verabfolgen
wird, werden schon den nötigen Willen befördern, die richtige Alternative zu
erfassen, da kann kein Zweifel sein. So unangenehm die Prügel auch sein werden,
so sehr sind sie unsere sichere Hoffnung. Der Sozialismus ist folglich keine
Utopie (es sei denn, unser Überleben ist Utopie), er ist das Gebot der
Selbsterhaltung. Er ist genau das, was dem Gesetz der Anpassung entspricht.
Wenn es nicht schon zu spät ist, weil die Vernichtung der Existenzbedingungen
die Kausalität des Selbstlaufs angenommen hat und nicht mehr gestoppt werden
kann.
53
Ein
wichtiger historischer Aspekt ist der Unterschied zwischen der Anpassung aus
Not und der Anpassung in Freiheit, der gekonnten, geplanten, kulturstiftenden,
weltgestaltenden Anpassung. Diese Anpassung geschieht in einer speziellen Stufenfolge
eines internationalen Systems, in einer internationalen Konzeption und
Organisation, also unter Voraussetzung eines sozialistischen Weltsystems.
54
Wenn
es im Kapitalismus einen Rechtsstaat gäbe, gäbe es kein Kapitalismus mehr. Er
wäre, als verbrecherisches System überführt, längst zum Tode verurteilt worden.
55
Eine
weitere Verschärfung der Umweltfeindlichkeit ist der Verwandlung des
Kapitalismus in eine allumfassende Wegwerfgesellschaft geschuldet. Wegwerfen
steigert den Umsatz und damit den Profit. Die Wegwerfproduktion bewirkt die
zweifache Zerstörung der Natur. Sie hat ihre Ausplünderung zur Voraussetzung
und ihre Vergiftung zur Folge. Dagegen ist im Kapitalismus kein Kraut
gewachsen. Besserungen in Teilbereichen werden stets von der Zunahme im ganzen
übertroffen.
59
Daß
dieser schmähliche Kapitalismus gegen den Sozialismus immer noch die bessere
Figur abgibt, verdankt er nur dem unverdienten Glück, daß er sich mit dem
„realen Sozialismus“ vergleichen kann und nicht mit dem wirklichen.
74
Das
ökonomische Wesensmerkmal der Klassengesellschaft ist die Ausbeutung des
Menschen durch den Menschen. Ihr politisches Wesensmerkmal ist die Verwaltung
des Menschen durch den Menschen.
75
Der
Übergang von der Urgesellschaft zur Klassengesellschaft ist der Übergang von
der sozialen Gleichheit zur sozialen Ungleichheit. In sozialer Ungleichheit ist
aber nur der verwaltete Mensch zu halten. Die Verwaltung des Menschen ist die
Verkehrung seines Wesens, sie verkehrt die spezifische Form der menschlichen Anpassung
in ihr gerades Gegenteil: Der Verwalter der Natur wird selbst zum Verwalteten
(der Anpassende zum Angepaßten). Verwaltet sein heißt, daß die Autonomie des
Menschen – sein höchstes Gut – eingeschränkt oder aufgehoben wird. An die
Stelle der Entscheidung über sich selbst tritt die fremde Entscheidung über
ihn, sein Wohl und Wehe hängt von der Urteilsfähigkeit, dem Gerechtigkeitssinn,
der Laune, den Interessen, dem Charakter anderer ab. Und selbst wenn der letzte
Verwaltete noch Verwalter sein möchte, der Mann die Frau und die Frau das Kind
und das Kind die Puppe verwaltet (bereits im Spiel das Verwalten und
Verwaltetwerden übt), so ist doch nicht jeder wirklich Verwalter, wohl aber
jeder Verwalteter (selbst der oberste Verwalter). Er ist Gefangener im System
der Verwaltung und nicht frei in seinen Entscheidungen. Der Mensch wird von
Verwalteten verwaltet. Und das macht die Sache noch verkehrter.
77
Indem
das Rollenspiel die Individualität, den „eigenen Kopf“ reduziert, produziert es
Herdenverhalten. Würden sonst immer wieder Millionen in den Krieg laufen, um
dort als Mörder oder Opfer zu fungieren; würden sich sonst Milliarden immer
wieder zu Schwachsinnigen machen lassen und Regierungen wählen, deren
Mitglieder wider ihre natürliche Intelligenz und wider besseres Wissen reden
und handeln, weil auch sie eine Rolle spielen? Das
Rollenspiel führt zur politischen und tendenzielle zur medizinischen
Schizophrenie sowohl der Verwalteten wie der Verwalter. Ein Symptom dessen ist
die Selbsttäuschung, da sie die Schizophrenie erträglich macht. Die Reduzierung
seiner Autonomie reduziert die psychische Qualität des Menschen bis zu ihrer
Zerstörung.
79
Wenn
die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen schon infam ist, so ist die
Verwaltung des Menschen durch den Menschen noch infamer. Die Ausbeutung
entwendet ihm nur sein Produkt, die Verwaltung entwendet ihn [sich] selber. Und
kehrt ihn gegen sich selber, macht ihn zum „Selbstverwalter“. Die Demütigung
wird zur Selbstdemütigung.
81
Die
Verwaltung des Menschen durch den Menschen ist die tiefgreifendste,
folgenschwerste und zugleich komplizierteste Verkehrung des menschlichen
Wesens.
156
Glück
besteht in der Übereinstimmung von Wollen, Können und Dürfen.
160
Frei
ist der Mensch erst, wenn ihm die Mittel seiner Existenz zu Spielmitteln
geworden sind.
161
Kopernikus
setzte die Sonne in den Mittelpunkt unseres Planetensystems und ließ die Erde
um sie kreisen. Das war eine Wende im Verständnis der kosmischen Bewegungen.
Und es war auch eine Wende der Bewegungen im Kopfe des Menschen. Marx
setzte die Ökonomie: das Eigentum an Produktionsmitteln, die Dialektik von
Produktivkräften und Produktionsverhältnissen an die Stelle des von Hegel als
Dominante gesehenen Staates und stellte die Sache damit vom Kopf auf die Füße.
Diese Umkehrung gab der gesellschaftlichen Bewegung erstmals ein objektives
Gesetz und machte sie materialistisch erklärbar. Das war die zweite
kopernikanische Wende. Mit der Übertragung des Naturgesetzes der Anpassung auf
die menschliche Gesellschaft vollzog Branstner die dritte kopernikanische
Wende. Durch sie kehrt der Mensch nach absonderlichem Irrlauf in das Reich der
Natur zurück. Voraussetzung ist die Erkenntnis der gesellschaftlichen
Organisation des Menschen als Organ der Anpassung [des Menschen an die Natur].
Als das hat diese Organisation (von der Ökonomie bis zum Staat) keine andere
Funktion als der die Anpassung verwirklichende Bienenstaat, wenn gleich auf
irritierend höherem Niveau. Der Mensch ist gesellschaftliches Wesen nur, um das
höchste Wesen der Natur zu werden. Auch wenn er gegenwärtig den
entgegengesetzten Weg geht. Die
erste kopernikanische Wende erfaßte die Bewegung der Natur, aber ohne den
Menschen. Die zweite Wende erfaßte die Bewegung des Menschen, aber ohne die
Natur. Die dritte Wende erfaßt die Bewegung des Menschen in ihrer gesetzmäßigen
Verbindung mit der Natur.
Wer zuletzt lacht, lacht allein…
Wegen der fortschreitenden Auflösung der Präsenz seiner Ideen im Netz fühlen sich die Autoren des Archivs werkvermächtnisse.de verpflichtet, die wenigen noch zugänglichen und gemeinfreien Einführungen in seine ‚Philosophie der unbotmäßigen Heiterkeit‘ zu sichern. - Wir veröffentlichen weitere Beiträge und Dokumente von und über G. Branstner, sofern wir dazu autorisiert werden.
Im Unterordner Werkumriß unsere Sammlung.
Als prägnant-bündigste Einführung in Werk und Philosophie G.
Branstners empfehlen wir:
Dr. Peter Reichel: 1. Gerhard Branstner im Interview; 2. Der Autor als Spielmeister - Zum Schaffen Gerhard Branstners.
Beide Artikel abgedruckt in: Weimarer Beiträge, 1987, Nr. 5, 33. Jahrgang.
Auch seine Netzseite haben wir 2015 als Replikat gesichert.
Hier sein Wikipedia-Eintrag.
© 2024 werkvermächtnisse.de