4 FÖJlerinnen erzählen
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Da vor mir der Heuberg.
Ich sehe, alle packen mit an beim Silieren.- „Wir silieren heute. Da geht uns das Gschäft nicht aus. Da kannst du auch später hochkommen auf den Hof und triffst auf jeden Fall die Leut noch an.“ Hau ruck, bis das Gras unter der Folie verpackt und mit Autoreifen abgedichtet ist, hau ruck, da hab ich was geschafft.
Keine großen Worte zur Vorstellung. Aber gezeigt isch: Gschäft gibt`s immer.
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Ab in den eigenen Landkreis, wo jeder jeden kennt, so ist es Gang und Gebe und bleibt mir nicht erspart. Jeder gehört dazu, als ob sich nichts verändert. Auch mir erging es so und 12 Stunden harte Arbeit bei größter Hitze noch dazu.
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„Wer bist du denn?“ Sie antwortete, gab kurz den Grund an, weshalb sie da war und nannte ihren Namen. „So ein Scheiß!“ Sie runzelte kurz die Stirn, fragte nach. „So ein Scheiß, du kannst gleich wieder gehen.“ Sie war erschrocken, traute ihren Ohren nicht. Verwirrt begann sie den Kofferraum auszupacken. „Brauchst deinen Scheiß gar nicht erst ausladen, kannst gleich wieder gehen.“ Sie fühlte sich hilflos. All die Freude, Spannung und Neugier, all der Mut und die Selbstsicherheit waren auf einen Schlag weg, wie verflogen. Es hallte in ihrem Kopf nach: „Du kannst gleich wieder gehen.“ Sie suchte fieberhaft nach einer Antwort. „So ein Scheiß!“ Nach einer schlagkräftigen, lässigen Antwort.
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Über die regengetränkte Obstwiese mit den ähnlich anmutenden Stoffschuhen waten, immer noch auf der Suche nach dem Hof.
Nächste Szene: Viel Geruch um die Nase, betäubender Lärm und warum redet und redet er da, sprechen tut er doch nicht. So soll das nächste Jahr werden?
Nächste Woche Abi.
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1km – rückwärts – Waldweg – 2,50m breit – 7,5t LKW – 2,50m breit – Zivi + FÖJ – einweisen – auf einer Seite Hang – durch Bachlauf durch – 2h gebraucht.
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Es sind drei Blätter. Eng umschlungen um eine Rolle. Festgebrannt? Die Blätter müssen da weg. Wo ist eigentlich die zweite Schraube? Die Blätter werden weggerissen, kleine Papierfetzen des verbotenen Drucks kleben noch unter der Rolle. Das Notfall-Info-Telefonat hat nichts geholfen. Noch nicht mal die Mitbewohnerin ist da. Das Papier ist jetzt endlich weg, jetzt fehlt nur noch die Sprungfeder der Schraube. Ob das jemals wieder funktioniert? Wie viel kostet eigentlich so ein Ding? Die Abdeckung klemmt, dann ist alles wieder okay, zumindest sieht es von außen so aus. Vielleicht hat mein Chef doch recht gehabt, als er uns sagte, dass wir den Bürodrucker nicht benutzen sollten.
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Mit dem Öffnen und Schließen der Klappe ist die Verursacherin seit langem vertraut.
Die Scheibe wurde unter Spannung gesetzt – unsachgemäß geschlossen- versehentlich.
„Ich will damit nicht groß tönen. Ich hab in all den Jahren noch nichts beschädigt. Unter Stress sind wir alle. Wenn ich das mache, bin ich auch unter Stress.“
Alle sind schon halb im Feierabend. Schnell die Klappe zu, unhandliches Teil. Ich stemme die Klappe hoch. Mit welcher Hand soll ich den verbleibenden Sturmschutz noch raus klappen? Ich schreie Hilfe herbei. Unverständnis. „Warum schreist du so grundlos? Warum lässt du deine Ungeduld unkontrolliert an uns aus?“ Schnell die Klappe zu. Ergebnis: Risse.
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„Du kannst die Eier in die Zentrale fahren.“ Erleichterung. Viele Menschen mit weißen wachsdeckenähnlichen Schürzen, zum Teil schon mit roten Spritzern versehen. Erich wird die Arbeit weggenommen, doch stören tut er sich keineswegs daran. Er glaubt, Geschmack zählt. Unter meinen Händen hat vor weniger als 20 Minuten noch ein Herz geschlagen. „In jede Tüte kommt von allem etwas.“ Am Freitag werden sie dann Schlange stehen und tauschen Geld gegen ausgelöschtes Leben.
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Anfang, mein FÖJ, auf meinem Bauernhof, mit vielen eigenartigen Menschen, zwischen Müll, Misthaufen und Freizeit, Herbst.
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In Berlin zusammen mit Lisa oder doch irgendwo und nirgendwo in Stuttgart? Zimmer 207 hat einiges zu bieten: Flachbildfernseher, komfortables Bad mit ständig penibel gerichteten Pröbchen und Handtüchern. Alles funkelt, nur der nicht vorhandene Kronleuchter tut es nicht. Mandus setzt die 70'er Sonnenbrille auf und wir kommen tatsächlich in Leipzig an. Wahnsinn(iger) Konsumtempel, den Zügen ihr zu Hause. Meins bei Stuttgart, wobei der Wohlfühlraum dort sehr begrenzt ist. Anders auf dem G8. Raum für Spaß und Quatsch als auch Unterhaltung der unwürdig arbeitenden Sicherheitskräfte war vorhanden. Neben dem Abenteuerspielplatz rund um Heiligendamm – das rege Treiben von Menschen hat mich schlagartig lahm gelegt. Das Bedürfnis nach Ruhe und Isolation wurde nicht gedeckt. Lahm, lahmer, am lahmsten oder wie soll Mensch diesen Berg hier bewältigen. Besonders dann, wenn der Korb voll mit so genanntem Müll beladen ist.
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Bücherhaufen schrumpfen
doch es gilt nicht, im Haus zu versumpfen
denn der Sumpf ist gefroren
die Lust draußen zu sein verloren.
Auf der Fahrt in die kleine Stadt
die wegen dem Bioladen eine gewisse Notwendigkeit hat
rutscht mir das Rad weg im Schnee
ich bin genervt und freue mich auf zu Hause und Tee.
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Die FÖJlerin sollte abends den Hofverkauf machen. Die entsprechende Mitarbeiterin hat Urlaub beantragt. Am nächsten Tag ist große Hochzeitseinladung. Wird die FÖJlerin rechtzeitig darüber informiert werden? Die FÖJlerin sollte am selben Wochenende Samstags Kirschen verkaufen. Mitarbeiterin auf Hochzeitseinladung. Für den neuen Chef ist alles noch Neuland. Die FÖJlerin hat private Termine, hat dem Freund versprochen dessen Schwesters Singen anzuhören. Ein Auftritt. Er bedeutet ihr was. Es singt die Schwester des Freundes. Die FÖJlerin ist aber auf dem Hof eingeplant. Wen wird die FÖJlerin im Stich lassen? Sie kann nicht gezwungen werden, so die Info. Freigestellt? Armer Chef. Chef allein auf sich gestellt.
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Die Gefühle spielen verrückt
wenn der Frühling erste Blumen enthüllt
das Auge ist davon entzückt
und das Herz von zwischenmenschlichen Beziehungen erfüllt.
Eigentlich finde ich Redewendungen blöde
und auch wenn ich Sprichwörter nicht leiden kann
denn sie sind genauso blöde
ist an Frühling und erweckten Gefühlen doch was dran.
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Pendeln ist das Große Glück. Die Trennung von Allem. Teurer Spaß und doch von Nöten. Manchmal etwas aufdringlich und man muss immer drum kämpfen, um nicht aufzugeben. Wie ein Flickenteppich durchzieht es die Freundschaft und zu Hause war gestern. Die Ökologie bleibt dabei manchmal auf der Strecke und man sollte es dann besser andersherum positiv sehen. Alles kann anstrengend werden und Erholung gibt es nicht mal mehr am Wochenende, denn da warten dann andere Verpflichtungen.
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Sommer
Träume ziehen mich fort
ich bin immer noch hier
zusammen mit Misthaufen und Tier
und komme nicht weg vom Ort.
Sie breitet sich aus, die innere Unruhe
ich will mein Leben aktiv gestalten
werde jedoch noch zwei Monate festgehalten.
Träume wie eine noch nicht geöffnete Schatztruhe.
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Du bist nächste Woche auf Fortbildung? Bist du wieder zurück von der Fortbildung?
Und beim Dienstplan die Fortbildung angeben.
Ja. Fortbildung wollen sie das nennen. Von der Simmersfelder Bühne und der Akademie der schönen Künste wissen die auf dem Hof nämlich nix. Also schlicht Fortbildung.
Und da beim Seminar sind die kleinen Arbeiter dann unter sich und entwerfen große Ideen.
Und da beim Seminar sind die schwachen Mitbestimmer dann beisammen und werden starke Vordenker.
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Quer durch Baden-Württemberg, den Daumen nach oben, fast immer warten interessante Tage auf mich. Alles wird auf zu vielen Bildern festgehalten. Auf einem ist ein Gebilde zu erkennen. Vermutlich ein eingestürzter Lehmofen, unförmig steht er in einem Bretzfelder Garten. Ein Garten, geschweige denn einen Stehplatz, haben Menschen in Bauwagen immer noch nicht. Hoffentlich sind ihre Wagen wasserdicht, denn den Regen haben wir schließlich auf allen fünf erlebt. Selbst der Kindergarten Bempflingen hat etwas von uns mitbekommen. Bühne frei!
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Manchmal stellt es unser behinderter Beschäftigter schlau an. Er weiß wie ich reagiere, beklagt noch vor mir die rote Ampel, stimmt ein, dass die Suche nach 'nem Parkplatz vergeblich sei, sagt: „Da hast du aber recht gehabt.“. Er weiß wie man`s macht.
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Die Reihenfolge ist klar. Hierarchisch abgestuft. Ich wurde auf meinen Platz, irgendwo in der Mitte, hingewiesen. Der Umgangston mit „Überlegenen“ und „Unterlegenen“ ist auch klar, ohne dass darüber jemals geredet wurde. Das erwartet mein Chef von mir. Das erwarten aber auch die BewohnerInnen von mir. Wenn ich einen anderen Ton anschlage, wird darauf nicht reagiert. Braucht der Mensch tatsächlich Befehle?
Ich verfalle mehr und mehr in diese mir verhasste Umgangsart. Ja, darauf reagieren die Leute. Viele tun das, was ich ihnen sage, andere wehren sich dagegen. Mit der selben Art von hierarchischem Denken: „Du bist ruhig, ihr Frauen habt hier gar nichts zu sagen.“
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Anne mit mir beim Ampferstechen. Wir beraten über den Umgang mit einem traumatisierten Beschäftigten. Erfahrungsaustausch beim Ampferstechen.
Wir verstehen uns, kommen zu keinem Ergebnis, verstehen uns.
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Ein Weg - Begonnen vor über 20 Jahren. - Setzt sich fort. - Neue Zufahrtsstraßen verändern seine Richtung. - Baustelle „FÖJ“ - Begegnungen und Kommunikationen finden auf dieser Zufahrtsstraße statt. - Baustelle „Nach-FÖJ“ - Erste BauarbeiterInnen beginnen mit der Arbeit. - In Planung ist eine Strecke für September nach Spanien, anschließend nach England, wobei der Bau recht kurzfristig und demnach zügig vorangehen muss. - Die nächste Langzeitbaustelle steht derzeit nicht zur Diskussion. - Sicher ist nur, die BauarbeiterInnen sollten flexibel sein.
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Im Wind lag ein leiser Geruch. Sie hob die Schnauze und schnüffelte. Verfolgte die Spur eine ganze Weile, verlor den Geruch dann aber oder ließ absichtlich davon ab, weil sie bereits etwas neues gewittert hatte. Sie gönnte sich von all den Eindrücken eine Pause, knabberte an einer Walnuss und erfreute sich an der Sonne, die die Tautropfen im Gras zum Glitzern brachte. Unterwegs begegnete sie vielen anderen. Sie blieben eine Weile zusammen, gingen ein Stück, trennten sich dann und manche von ihnen trafen sich vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt wieder. Mit der Nase im Wind, frei und unabhängig in Entscheidungen und von anderen Einzelnen. „Ja, so will ich leben.“, sagte sie.
Juni 2007
FÖJ??
Lese unseren Artikel, erschienen in der
6. Ausgabe der Alternative.
Autor(en):
Von 4 FÖJlerinnen in Baden-Württemberg