Jonas Friedemann Grote – Eine „ernstliche“ Gefahr für die militärische Ordnung

Bericht eines Totalverweigerers

Junge Männer werden in Deutschland verfolgt, festgenommen und mehrere Wochen eingesperrt, da sie gegen Zwang, Gewalt und Militär handeln.
Die Wehrpflicht macht sie zu Kriminellen, weil sie niemandem Schaden zufügen wollen.

Die Bundeswehr soll junge Männer im Rahmen dieser Pflicht an Waffen ausbilden, damit sie unser Land verteidigen können, falls wir angegriffen werden sollten. Primär weil ich Gewalt in jeder Form ablehne, will ich nicht Teil eines solchen Systems sein. Das wird aber, trotz der Unverletzlichkeit des Gewissens, nicht akzeptiert.

Da ich zur Musterung nicht freiwillig antrat, wurde ich mit der Polizei im Mai 2006 zum Kreiswehrersatzamt gefahren. Bei der Musterung werden junge Männer “am laufenden Band“ überprüft, ob sie für das Militär tauglich sind. Der Großteil lässt das über sich ergehen und sieht es als nicht so schlimm an, gelegentlich auf Grundrechte zu verzichten und die Menschenwürde abzugeben.

Da ich mich weigerte, mich auszuziehen, wurde ich tauglich gesprochen, ich kann ja gehen, sehen, hören, reden. Mein schriftlicher Widerspruch wurde abgewiesen, im Nachhinein denke ich, dass ich mich zu diesem Zeitpunkt schon hätte an die Presse wenden und klagen müssen. Von der Klage wurde mir aus Kostengründen abgeraten, da die Aussicht auf Erfolg als zu gering eingeschätzt wurde.
Sicher wäre dann aber einiges anders gelaufen, und ich bin der Meinung, dass ich in dieser Sache zu wenig informiert wurde und dass es an Aufklärung mangelt, was über Gerichte erreicht werden kann. In vielen Kreisen der Bevölkerung wird leider immer noch die wohl bekannte Einstellung vertreten, dass der Einzelne nichts verändern könne. Doch:

„Wer auch immer behauptet, dass die kleinen Dinge keine Bedeutung haben, der sollte eine Nacht mit einer Mücke in einem Raum schlafen.“

Dieses Jahr im März bekam ich die Einberufung zum Grundwehrdienst. Wiederholt teilte ich den verantwortlichen Stellen mit, dass ich nicht antreten würde.

Am 2. April trat ich den Dienst bei der Heeresfliegerstaffel 269 in Roth bei Nürnberg nicht an, einen Tag später wurde ich angerufen und mir wurde befohlen, unverzüglich zur Kaserne zu kommen, was ich verweigerte. Ich teilte der Person mit, dass ich zunächst zusehen würde, dass sie mich nicht gleich einsammeln und mich dann irgendwann stellen würde, wobei ich meine Motive an die Öffentlichkeit tragen würde. Eineinhalb Monate später war es so weit, ich veranstaltete mit lokalen Friedensaktivisten und Freunden in Karlsruhe eine Aktion vor einer Kaserne. Um sie dazu zu bringen, etwas zu unternehmen, kettete ich mich an das gerade geöffnete Tor des Militärgeländes.

Presse wie die Lokalzeitung und -fernsehen war erfreulicherweise anwesend, auch einige Radiosender interessierten sich für den Fall und machten Interviews mit mir.

Die Polizei kam und unternahm nichts, nach längerer Zeit kamen die Feldjäger und mein Ziel war erreicht: Ich wurde mitgenommen und die Presse hatte Bilder. Gegen 2 Uhr Nachts war ich in Roth, ein Wagen aus der Einheit hatte mich bei der Militärpolizeiwache abgeholt.

Am nächsten Tag vernahm mich der Disziplinarvorgesetzte zu meiner eigenmächtigen Abwesenheit, kurz darauf kam die Polizei und nahm mich mit, da ich keinen festen Wohnsitz hatte und daher Fluchtgefahr bestünde. Nach mehreren Stunden in zwei verschiedenen Untersuchungshaftzellen wurde ich dem Ermittlungsrichter vorgeführt, der unter Auflagen den Haftbefehl außer Vollzug setzte. Überraschenderweise musste ich danach nicht zurück zur Kaserne, sondern durfte über das lange Wochenende nach Hause.

Um zu erfahren, wie die Armee weiter mit mir umgehen würde, fuhr ich am Sonntag Abend wieder nach Roth. Auch wenn ich um die Behandlung von Totalverweigerern in der Vergangenheit wusste, war ich zu dieser Zeit noch guten Mutes, dass ich schnell entlassen würde und nicht noch lange dort herumsitzen müsste. Ich führte einige Gespräche mit Bediensteten höherer Dienstgrade und saß lange unter Bewachung im Unteroffizier-vom-Dienst-Büro herum. Am Dienstag bekam ich die Nachricht, dass ich am Mittwoch eingesperrt werden würde, ein Richter eines Truppendienstgerichts hatte der Disziplinarmaßnahme von 21 Tagen Disziplinararrest zugestimmt. Gegen 16 Uhr begannen meine von der Bundeswehr gesponsorten Meditationswochen.

Die Zeit des Arrests verbrachte ich mit Nachdenken, Lesen, Singen und Spanisch lernen. Die ersten zwei Wochen bekam ich als Veganer mein Essen aus dem Kreiskrankenhaus in Roth. Eines Tages sollte ich plötzlich die Zelle räumen und alle Sachen packen, um nach Dornstadt bei Ulm verlegt zu werden. Das Krankenhaus würde das Essen nicht mehr bereitstellen – ich vermute, weil die Rechnung bei mir gelandet war und so nicht bezahlt werden konnte – und so müsste ich in die Nähe dieses Bundeswehrkrankenhauses.

Als die 21 Tage vorbei waren, wurde ich wieder nach Roth gefahren und durfte von da an plötzlich wieder ganz normal an der Truppenverpflegung teilnehmen – mir das heraussuchen, was ich essen wollte –, was die Begründung dieser Verlegungsaktion sehr fragwürdig macht.

Noch am gleichen Tag bekam ich den Befehl zur militärischen Einkleidung und eine Haar- und Barttracht nach der zentralen Dienstvorschrift 10/5 bis um 7:30 am nächsten Tag herzustellen. Den Befehl verweigerte ich, wurde erneut vernommen und am darauf folgenden Tag wieder eingesperrt.

Die neuen Vollzugsbestimmungen waren verschärft, ich durfte nur noch in dringenden und unaufschiebbaren Fällen nach dem Stellen eines Antrages telefonieren, mein Mobiltelefon musste nun auch während des täglichen Bewachtgangs im Spind bleiben. Aber mir blieb ja noch die Kommunikation per Post.

Gegen den ersten, wie den zweiten Arrest hatte ich Beschwerde eingelegt, da mir ein „Merkblatt über die wesentlichen Vollzugsbestimmungen“ ausgehändigt wurde, wo es an erster Stelle hieß:

„Während des Vollzugs soll die Bereitschaft des Soldaten gefördert werden, ein gesetzmäßiges Leben zu führen, insbesondere seine soldatischen Pflichten zu erfüllen.“ [Hervorhebung durch den Autor]

Jeder, mit dem ich in der Kaserne zu tun hatte, wusste, dass ich niemals soldatische Pflichten erfüllen würde, somit war klar, dass das Ziel des Arrests verfehlt werden würde. Leider schien das Truppendienstgericht dies nicht zu verstehen - die Beschwerden wurden abgelehnt.

Nachdem ich den zweiten Arrest abgesessen hatte, rechnete ich damit, bald ein drittes und letztes Mal für 21 Tage Disziplinararrest zu bekommen, so wie das früher mit Menschen wie mir gemacht wurde. Ich war sehr erfreut, als der Disziplinarvorgesetzte mir mitteilte, dass beabsichtigt würde, mich aus der Bundeswehr zu entlassen.

Ich saß den halben Tag herum, mein Mobiltelefon blieb in Gewahrsam, wohl damit ich kein Empfangskomitee bestellen würde, und wurde dann gegen 16 Uhr zum Bahnhof gefahren, nachdem mir unter anderem auch der Grund für das plötzliche Ende eröffnet wurde: Der Bundesminister der Verteidigung hatte ihnen gewiesen, mich als Gefahr für die militärische Ordnung nach § 29 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Wehrpflichtgesetz zu entlassen.

Die Entlassung hat keinen Einfluss darauf, dass gegen mich ein Strafprozess wegen Fahnenflucht und Gehorsamsverweigerung läuft. In den letzten Jahren endeten vergleichbare Fälle häufig mit Bewährungsstrafen. Und sollte ich doch zu Gefängnis verurteilt werden, kann ich nur den Kopf über dieses System schütteln und mich auf eine ruhige Zeit freuen; mir wurde gesagt, dass normales Gefängnis wohl noch angenehmer ist als Bundeswehrarrest. Einleuchtend, denn die Wärter wechseln nicht alle 24 Stunden, haben ihre Sache gelernt und wissen, wie sie mit den Leuten umgehen müssen.

Ein Satz von Henry David Thoreau, den ich in einer Gandhi-Biographie während des Arrests las, hat sich mir eingeprägt: Unter einer ungerechten Regierung sollte jeder Bürger, der etwas auf sich hält, im Gefängnis leben.

In diesem Sinne werde ich weiter gegen Missstände unserer Gesellschaft vorgehen.

Ich hoffe darauf, dass sich weitere Menschen gegen Ungerechtigkeit und Zwang stellen und dass wir gemeinsam eine bessere Welt für alle schaffen.

Juli 2007

Aktuell:

Am 10. Oktober 2007 wurde ich im Sitzungssaal 41 des Amtsgerichts Nürnberg wegen Fahnenflucht und Gehorsamsverweigerung zu 120 Arbeitsstunden und zur Tragung der Prozesskosten verurteilt.

Autor(en): 
Jonas Friedemann Grote

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