- Der deutsche Richter

Der deutsche Richter scheut das Licht der Öffentlichkeit, nicht zuletzt deshalb leidet er an einem strukturellen Größenwahn. Nur selten tritt er leibhaftig auf, und plaudert aus dem Nähkästchen, wie der Strafrichter a.D. Heinrich Gehrke. Der Fall nahm ein tragisches Ende. Gemäß Ploeger sind bei deutschen Richtern "zwanghaft-autoritäre Persönlichkeiten" überrepräsentiert.

Bleibt man beim Strafverfahren, so zeigte der Kachelmann-Prozeß, daß der permanent wiederholte Ausschluß der Öffentlichkeit weniger dem Schutze des mutmaßlichen Opfers, sondern vielmehr dem Schutze der Justiz (dazu Kröber) diente. Der Kachelmann-Prozeß offenbarte i. ü. auch eine Profilierungsneurose des Staatanwalts, die justizintern gerne - euphemistisch - als "Jagdinstinkt" dargestellt wird. 
"Man kann", so würzte der Staatsanwalt Lars Torben Oltrogge seine Forderung nach vier Jahren Gefängnisstrafe für den Wettermann, "alle Indizien auch anders werten. Aber das ist das Wesen des Indizienprozesses, dass es auf die Gesamtschau ankommt."   So einfach kann man also Fehlentscheidungen rechtfertigen! Kachelmann hat noch rechtzeitig die einseitig gegen ihn orientierte Richterbank erkannt und den Verteidiger gewechselt. Die Unschuldsvermutung wurde mit Füßen getreten, siehe dazu die Diskussion bei A. Will.  Richter und Staatsanwälte" gibt, der die Gewaltenteilung gewissermaßen aufhebt.
Während sich Justizjuristen noch am ehesten selbstkritisch zur Strafrechtspraxis äußern, wobei ihr Blick bevorzugt retrospektiv in die NS-Zeit gerichtet ist (beim Verein Forum Justizgeschichte gab es unter seinem Gründer Helmut Kramer gelegentlich auch kritische Diskussion aktueller1 Justizpolitik), einige sich für progressiv haltende Richter sich statt im Deutschen Richterbund (DRB) in der Neuen Richtervereinigung2 (NRV) organisieren, ganz progressive, politisch Denkende sich im "Richterratschlag" - siehe dazu das in juristischen Seminaren selten gehaltenen Blättchen 'betrifft:Justiz' - versammeln, werden Mißstände in der Zivilgerichtsbarkeit allenfalls durch Betroffene publik gemacht. Denn auch Richter, die in der 'betrifft:Justiz' schreiben, interessiert das Schicksal  rechtsuchender Bürger mitnichten. Prägnantes Beispiel liefert ein Artikel  zum Fall Görgülü, in dem rechtsbeugende Kollegen als Opfer dargestellt werden, dies unter ständiger Wiederholung der Leerformel "Kindeswohl". Die beiden Verfasser mögen an der höchst restriktiven und seit langem kritisierten Auslegung des § 339 StGB (Rechtsbeugung) durch den BGH orientiert sein: eine verfassungskonforme Auslegung des § 339 hätte dem Schutz des Rechtsunterworfenen Vorrang vor dem des Richters geben müssen. Das Beratungsgeheinnis in Kollegialgerichten führt i. ü. faktisch zur Straflosigkeit rechtsbeugender Kollegialrichter, siehe dazu Mandla, der im Falle Görgülü von "Rechtsbeugungsprivileg" spricht. Chronologie des Falles Görgülü.

Wünschenswert wäre es, wenn zukünftig in mündlichen Verhandlungen in Familiensachen - auf Antrag - die Öffentlichkeit hergestellt werden müßte, denn naturgemäß wächst mit dem Wegfall der Kontrolle durch die Öffentlichkeit/Presse die Gefahr des Rechtsmißbrauchs. Ein erheblicher Teil leichtfertiger Psychiatrisierungen vollzieht sich in überwiegend nicht öffentlichen (§ 170 GVG) Verhandlungen, insbesondere3 vor dem Familiengericht.

Ist es schon selten, daß sich Richter mit ihrer eigenen Psyche befassen, so hat die Psyche von gebeutelten Rechtssuchenden deutsche Richter noch nie interessiert. Kritiker fanden allerdings treffende Bezeichnungen für richterliche Minderleistungen, so den sog. Schulterschluß-4, Inertia- bzw. Perseveranz-Effekt. Die notwendige Entscheidungsorientiertheit des Richters birgt bereits generell die Gefahr selektiver Wahrnehmung. Nur wenige jedoch handeln professionell, indem sie dem entgegen zu steuern suchen. Gelingen kann dies nur, indem sie sich, und dies wäre bei Zweifeln an der Prozeßfähigkeit besonders dringend geboten, der Suche und Wahrnehmung entlastender Faktoren - etwa Art und Grad der Betroffenheit (und damit der Verhältnismäßigkeit prozessualen Agierens) - nicht verschließen. Wie wohltuend ist dagegen folgender Satz:
"Ich bin ja Wissenschaftler. Ich bin immer bereit, meine Meinung zu ändern, wenn ich neue Informationen sehe." (Hans-Werner Sinn am 4.7.16
Richter jedoch sind keine Wissenschaftler, sondern Entscheider - ihr struktureller Größenwahn in Verbindung mit dem weithin herrschenden Schulterschlußeffekt gebiert vielfach Unrecht.
Der Einfluß der Öffentlichkeit auf die Tatrichter, sprich Presseberichterstattung, ist nicht zu unterschätzen, man höre dazu nur den Verteidiger Schwenn betreffend die Verfahren Kachelmann und Witte. Die vielgerühmte Unabhängigkeit der Justiz meint vornehmlich die Freiheit von Haftung, dies selbst für krasse Fehlgutachten! Die Korrekturmöglichkeiten sind sehr begrenzt. 

Hartnäckigkeit reizt den Gegner zur Psychiatrisierung, siehe dazu den Fall der Berlinerin Pflegerin 

Konietzko, in dem der Anwurf, destruktiv und prozeßunfähig zu sein, vom Betriebsarzt kam

. Frau K. vermochte sich am Ende nicht durchzusetzen, denn schließlich tendiert die Bereitschaft, Fehlurteile zu korrigieren, gegen Null. 
Dem entsprechend, trat ein Erfolg im Berliner Fall der Brigitte Heinisch  erst außerhalb der Grenzen bundesdeutscher Gerichtsbarkeit ein, siehe unter 





Anmerkungen:

2 der republikanische Richterbund fand in ihr nur sehr bedingt eine Nachfolge. Kürzlich wurde ein eigener "Amtsrichterverband" gegründet: Mitglieder des Verbands können Richterinnen und Richter, die bei einem Amtsgericht tätig sind, werden; Präsidenten und Präsidentinnen sind ausgeschlossen.

3 so auch im Falle des Verfassers

4 zum Perseveranz- und Schulterschlußeffekt im Strafverfahren siehe Schünemann, StV 2000, 159



Literatur:
- Karl Kübler, Der deutsche Richter und das demokratische Gesetz. AcP 1963, 104-128
Thomas Darnstädt, Der Richter und sein Opfer, 2013


Justizkritische Links:
http://www.zeit.de/2011/28/DOS-Justiz (Fehlurteile, Richterpsychologie)
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