- Der/Die Sachverständige

1. Haftung des Sachverständigen 
Dem Sachverständigen obliegen die in § 407a ZPO normierten Pflichten. Er gilt als Richtergehilfe und kann daher gleichfalls gem. § 406 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Seit dem 1.8.2002 ist auch die Haftung des gerichtlich bestellten Sachverständigen in § 839a BGB gesetzlich geregelt, dies in der Folge der Weigand-Affaire. Dies jedoch änderte nichts daran, daß entsprechende Entscheidungen zu Lasten medizinischer Sachverständiger Seltenheitswert haben, was nicht verwundert, weil damit eine Selbstkontrolle der Justiz verbunden ist. Die Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche wurde im Interesse der Sachverständigen nach dem neuen § 195 BGB von 30 auf 3 Jahre gesenkt. In Hinblick auf die Geltendmachung von Schadensersatz ist auf die Beeidigung des Gutachtens gem. § 410 ZPO zu dringen!  

2. Auswahl des Sachverständigen
Nach § 404 Abs.1 ZPO erfolgt die Auswahl des Sachverständigen durch das Prozeßgericht, die Auswahl des Sachverständigen ist also in das freie Ermessen des Gerichts gestellt. Die Auswahlfreiheit ist allerdings nicht grenzenlos: Der Richter muß sich von der Geeignetheit des Sachverständigen überzeugen und sich die für eine Überzeugung erforderlichen Informationen über die Person des Sachverständigen beschaffen. Ob und wie dies tatsächlich geschieht, bleibt regelmäßig im Dunkeln, insbesondere bleibt im Dunkeln, ob sich der Richter nicht eines 'Hausgutachters' bedient, der bislang regelmäßig "überzeugende" Gutachten geliefert hat, wie etwa im Fall Hase

Seit dem 1.Oktober 2016 ist in den § 404 ZPO der Absatz 2 neu eingefügt: hiernach "können" die Parteien  v o r  Ernennung des Sachverständigen gehört werden, ein Angebot, auf das man ggf. unbedingt rekurrieren sollte, denn der mit Zweifeln an seinem Geisteszustand Überzogene steht dem Gericht gewissermaßen als direkte Gegenpartei weitgehend wehrlos gegenüber. 
Tip: Jeder Betroffenen sollte daran interessiert sein, Näheres aus dem Mund des Richters über Person und Motiv der Wahl des betreffenden Gutachters in Erfahrung zu bringen: immerhin könnten sich im Verlaufe der diesbezüglichen Anhörung bereits Befangenheitsgründe gegenüber dem Gericht ergeben, etwa dann, wenn das Gericht keine hinreichenden Angaben zur besonderen Qualifikation des erwählten Gutachters zu machen imstande war. Also: unbedingt auf Anhörung bestehen!

Schließlich werden selbst krasse Fehlgutachten kaum vom Kontrolleur, dem Richter, entdeckt, sonst gäbe es keine Fälle wie den der Ilona Haslbauer (siehe Frontal-Recherche/ZDF-Archiv). Im Bereich der Aussagepsychologie erregte Fall des Norbert Kuß Aufmerksamkeit, der 683 Tage unschuldig im Gefängnis saß und erreichte, daß die Sachverständige in erster Instanz zu 50.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt wurde. Die Relevanz einer ideologiegesteuerten Sachverständigen - gleiches gilt für Richtern (!) - tritt fast nur im Bereich der Psychologie zutage, siehe etwa den Fall der Begutachtung eines Afrikaners hinsichtlich dessen Erziehungseignung. Beide Instanzen folgten, wie üblich, der "kompetenten und erfahrenen Gutachterin" völlig bedenkenlos und wurden erst vom BVerfG gestoppt: 1 BvR 1178/14
Tatsächlich spielt jedoch auch beim psychiatrischen Gutachter Ideologie und Anpassungsbereitschaft an den Auftraggeber eine erhebliche und oftmals ausschlaggebende Rolle.

Völlig unzweifelhaft ist also, daß die Person des Sachverständigen, d. h. dessen Auswahl, zumindest mitentscheidend für das Ergebnis ist. Gleichwohl geben Gerichte nur relativ selten der mit Zweifeln überzogenen Partei Gelegenheit, zu der Person des Sachverständigen Stellung zu nehmen, so wie es etwa das OLG Oldenburg tat (OLG Oldenburg, B.v.6.3.2008, Az. 6 W 16/08). Diesem Mißstand sollte durch entsprechende Anträge (Berufung auf § 404 Abs. 3 ZPO) seitens der betroffenen Partei begegnet werden!

Das Ergebnis einer Begutachtung, ganz besonders einer psychiatrischen, hängt jedoch sehr von der Auswahl des Sachverständigen, insbesondere von der jeweils vertretenen psychiatrischen "Schule" und dessen Verhältnis zum Gericht ab. Schreiber etwa hebt hervor, daß es "von ganz ausschlaggebender Bedeutung" ist, "ob etwa ein Sachverständiger, der in der Nachfolge Kurt Schneiders einen somatischen Krankheitsbegriff vertritt, herangezogen wird, oder ein anderer, etwa psychodynamisch orientierter Sachverständiger." (Schreiber, Zur Rolle des psychiatrisch-psychologischen Sachverständigen im Strafverfahren, in: FS. für R. Wassermann, 1985). Aus ärztlicher Sicht formuliert V. v. Weizsäcker, „Vater" der Psychosomatischen Medizin, pragmatisch: "Ich nenne den krank, ... in dem ich als Arzt die Not erkenne." Völlig anderes gilt für den ärztlichen Sachverständigen/Gerichtshelfer, wenn es allein um die Frage der Schuld (im Strafverfahren) oder um eine Exklusionsentscheidung (Frage der Prozeßfähigkeit) geht.

Wie ausschlaggebend Qualifikation und ideologische Ausrichtung des Gutachters in Kombination mit der des Richters sein kann, der Fall Witte. Im Fall Mollath (dort letztes Video) wird von der Kombination "zweier Kategorien" gesprochen: von eine "Vielzahl von Einzelfehlern" auf Richterseite kombiniert mit den Fehlern auf Gutachterseite, auf der "nicht zugehört, sondern abgeschrieben" wurde. Beide Fehlerkategorien gründen schlicht auf Vorurteilen. Eigene Vorurteile zu erkennen und zu vermeiden ist die vornehmste Aufgabe von Richtern und Sachverständigen, jedoch die zentrale Erbsünde dieser Professionen.    

3. Leitung des Sachverständigen gem. § 404a ZPO
Fraglos kann der Richter, insbesondere durch Vorgabe der Beweisfrage und Benennung der Anknüpfungstatsachen, seinen "Gehilfen" beeinflussen und steuern (Weisungen erteilen). Das Gericht entscheidet wohl auch über Parteiöffentlichkeit und/oder über die akustische oder optische Aufzeichung der Explorationsvorgänge (mit). Insoweit besteht hier ein Über- und Unterordnungsverhältnis. Die Methode des Arne Fellner, eine Aufzeichnung - digitale Prozeßbeobachtung - mit dem Vorschlaghammer zu erzwingen, dürfte allerdings nicht nachahmenswert sein ... 

4. Bewertung des Gutachtens 
Im Interesse der Strafrechtssprechung wurde der Versuch unternommen, eine interdisziplinär zusammengesetzten Arbeitsgruppe zu bilden, um für diese diese entscheidende Aufgabe Kriterien zu gewinnen. Konkret ging es um
- Mindestanforderungen für Schuldfähigkeitsgutachten (NStZ2005, 57-62Forens Psychiatr Psychol Kriminol 1: 3–9 (2007); weitere Druckversion)
- Mindestanforderungen für Prognosegutachten (NStZ 2006, 537-592, Beck-online
Daß daneben aber auch noch andere (politische) Faktoren Gutachten beeinflussen ermittelte Pfäfflin, siehe R&P 2014, 62-63 (im Netz abrufbar unter: Noch mehr psychiatrische Gutachten?) Und der psychologen (!) Sponsel machte sich an die Entwicklung eines Katalogs der potentiellen forensischen Gutachtenfehler.

Für die hier interessierende Begutachtung der Prozeßfähigkeit sind vergleichbare Mindestanforderungen bislang leider nicht entwickelt worden: Vielmehr existieren dubiose (an NS-Zeiten erinnernde) Anweisungen, so etwa in Baden-Württemberg, daß nicht mehr vom Gericht frei gewählte Gutachter mit der Begutachtung der Prozeßfähigkeit einer Partei beauftragt werden, sondern daß die Gesundheitsämter derartige Gutachten erstellen sollen, dies leitet zur nächsten Frage über:    

5. Zuständigkeit der Gesundheitsämter?
Die Tatsache, daß in der Regel bei Zweifeln an der Prozeßfähigkeit ein Psychiater beauftragt wird und Psychologen nur sehr gelegentlich für Zusatzgutachten herangezogen werden, erlaubt den Schluß, daß gerichtsseitig regelmäßig ein psychiatrischer Defekt vermutet wird, denn der Richter ist verpflichtet, einen geeigneten Gutachter zu beauftragen und dies kann nur ein 1. sachkundiger und 2. klinischer und gutachtlich erfahrener Facharzt (der Psychiatrie) sein. Da zudem ein Fachgutachten eine wissenschaftliche Leistung sein soll, ist der Richter verpflichtet, sich der Sachkunde1 des Gutachters zu vergewissern. Eben dieses geschieht so gut wie nie! Üblicherweise wird ein gerichtsbekannter "Hausgutachter" gewählt, wenn nicht, wie etwa in BW, Anweisungen existieren, aus Kostengründen2(!) den zufällig amtierenden Facharzt des zuständigen Gesundheitsamtes (oft noch sog. Nervenärzte) mit der Begutachtung der Prozeßfähigkeit zu beauftragen. Zur Problematik siehe unter Gutachterfrage. Im Internet-Auftritt des Rhein-Neckarkreises (wie auch anderer Gesundheitsämter) wird die Begutachtung der Prozeßfähigkeit im Zivilverfahren interessanterweise nicht genannt. Dies indiziert eine Grauzone, denn weder handelt es sich eine hoheitliche Aufgabe noch erfolgt die Begutachtung primär in öffentlichem Interesse, wie etwa die Begutachtung in Fragen der Verhandlungs- und Haftfähigkeit in Strafverfahren. 
Hieraus wäre abzuleiten: Für die Gerichte besteht kein Zwang, Begutachtungen der Prozeßfähigkeit in Zivilverfahren beim Gesundheitsamt anzufordern und letztere können - und sollten (!) - derartige Gutachten ablehnen. Folgt das Gericht dem nicht, so sollte darauf gedrungen werden, daß der Amtsarzt seine Fachkunde in dem streitgegenständlichem Gebiet - hier also Beurteilung der Prozeßfähigkeit - hinreichend darlegt und darauf auch beeidigt (§ 410 ZPO) wird, letzteres als Grundlage eventueller Schadensersatzforderungen. In Bayern passierte es, daß ein 30jähriger Nichtfacharzt beim Staatlichen Gesundheitsamt eine "chronisch schizophrene Psychose mit ausgeprägter paranoider Komponente" diagnostizierte, dem sich sowohl Amtsgericht als auch Landgericht kurzerhand anschloß und den Betroffenen für Geschäftsunfähig erklärte. Erst das BayObLG stoppte dieses Unwesen, siehe dessen Beschluß vom 19.06.1986 - ein warnender Beleg für die Anmaßung von Amtsärzten und deren unheilvolle Allianz mit den Justizbehörden. 

6. Beweissicherung/Dokumentation
Will man sich nicht vollständig dem Sachverständigen ausliefern, sollte man auf einer Dokumentierung des Untersuchungsvorgangs (sog. Exploration) bestehen. Infrage kommen: Tonbandaufnahme, Videografie und/oder Zeugen, z. B. der eigene Rechtsanwalt oder ein Psychiater des Vertrauens. Näheres siehe unter 8.

7. Zur Perspektive des Sachverständigen
Ein vernünftiger Sachverständige müßte imstande sein, über rein neurologische Erhebungen hinaus auf der Suche nach einem etwaig vorhandenen "Querulantenwahn" zunächst zu fragen: ist das prozessuale Verhalten des Probanden verständlich? Hierzu müßten zumindest folgende Fragen abgeklärt werden:

a) der Grad der Betroffenheit (etwa: geht es um kleine oder größere Beträge?)

b) Ist die Justiz (etwa durch falsche Behandlung der Klage, fehlende Hinweise usw.) selbst mit ursächlich für die Reaktionen des Probanden?

c) War der Proband etwa schlecht durch seinen Rechtsanwalt vertreten und hat deshalb die Sache selbst "in die Hand genommen"?
 
Grundsätzlich sollte der Sachverständige also immer die Perspektiven der anderen Beteiligten mit einbeziehen, denn nur dann kann das Verhalten des Probanden ggf. als pathologisch beurteilt werden. Daß dies nicht ohne  hinreichend profunder Kenntnisse der Verfahrensordnung und Erfahrungen mit den Usancen vor Gericht geht, liegt auf der Hand. 

8. Wie verhalte ich mich nun gegenüber dem Sachverständigen?
Grundsätzlich ist das diagnostische Gespräch mit einem Psychiater ein Eingriff in das Leben des Menschen (Nedopil, NStZ 1999, 435), dies gilt umso mehr, wenn sich der Proband gezwungen sieht, sich der Exploration auszusetzen. Nedopil zitiert aus der Deklaration der WPA von Madrid 1996, wonach der gutachtende Psychiater den Probanden zumindest über Folgendes zu informieren und beraten hat, nämlich über

1. den Zweck der Untersuchung,
2. die Verwendung des Befundes und
3. die möglichen Auswirkungen des Gutachtens.

Zudem habe der Gutachter aufzuklären über 
a) die Funktion des Auftraggebers
b) die Rolle des Gutachters
c) den Verfahrensgang der Begutachtung
d) die abstrakten Konsequenzen der Begutachtung
e) das Fehlen von Schweigepflicht und Schweigerecht des Gutachters
f) Mitwirkungspflicht und Verweigerungsrecht des Gutachters
g) die Grenzen gutachterlicher Kompetenz.

Bei einem Gespräch müssen Fragen des Probanden an den Gutachter zulässig sein, von diesem Fragerecht sollte der betroffene Proband auch unbedingt Gebrauch machen. 

Nicht selten werden allerdings bereits die vor Beginn der eigentlichen Begutachtung gestellten Fragen im Gutachten wiedergegeben und diagnostisch kommentiert. Daher sollte dieser Komplex zu Beginn Gegenstand des Gesprächs sein, verbunden mit der Zusicherung, daß Verständnisfragen im Rahmen der - abstrakten - Belehrungspflicht (s. o.) oder Fragen zur Person und Qualifikation des Gutachters nicht Gegenstand des Gutachtens sein dürfen. Lehnt der Gutachter bereits hier ab, sollte er - entsprechend begründet - als unqualifiziert bzw. befangen abgelehnt werden.

Nedopil (NStZ 1999, 438) erwähnt die Untersuchung von Staak/Schewe, der zufolge im Strafverfahren gilt: je stärker ein Gutachter sich seinem Gericht verpflichtet fühlt, desto eher besteht die Gefahr, richterliche Wertungen vorwegzunehmen. Im Zivilrecht dürfte die Gefahr der Pathologisierung wohl kaum geringer sein, steht hier ein Betroffener dem Gericht als direktem Gegner noch schutzoser gegenüber! 

Es empfiehlt sich, den Gutachter konkret zu befragen:
- wer bezahlt und was kostet Ihr Gutachten über mich?
- haben Sie bereits Gutachten zur Frage der partiellen Prozeßfähigkeit erstattet?
- dient Ihrer Auffassung nach die Klärung der Prozeßfähigkeit primär dem Schutz der Institution bzw. der Allgemeinheit oder dem Schutz des Betroffenen?
- werden Sie die rechtliche Behandlung seitens der Gerichte, also das Wechselspiel, das Interaktionsgeschehen (im Klartext: eventuelle Fehlleistungen der Justiz) mit in Ihre Gesamtbewertung einbeziehen - oder vertreten Sie die These, daß juristische Bewertungen völlig außerhalb eines forensisch-psychiatrischen Gutachters liegen?  (sehr wichtig!)  
- erläutern Sie bitte den juristischen Krankheitsbegriff "Prozeßunfähigkeit" in Gegenüberstellung zum psychiatrischen Krankheitsbild, also etwa die Symptome einer "paranoid- querulatorischen Entwicklung"!
- erläutern Sie bitte die Beweisfrage - auf welche Tatsachen stützte das Gericht seine Zweifel an meiner Prozeßfähigkeit?
- gibt es neben eigentlich psychiatrischen Erkrankungen psychiatrische Kriterien für nicht krankhafte, jedoch krankheitswertige Störungen?
- wird ein strukturiertes Interview zur Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen nach ICD-10 zum Einsatz gelangen und falls ja, welches? (ggf. IPDE = 59 Items)
- kommen Persönlichkeitstests (MMPI Test oder das Hamburger oder Trierer Persönlichkeitsinventar) zur Anwendung?(
3) 
- welche weiteren Tests (etwa: Zahlenverbindungstest, Uhrentest) werden zum Einsatz kommen?
- erläutern Sie bitte die Folgewirkung eines non-liquet-Ergebnisses Ihrer Begutachtung! Die richtige Antwort müßte lauten: Bei nicht auszuräumenden Zweifeln gilt der Proband nach BGH-Rechtsprechung rechtlich als prozeßunfähig (anderes gilt in der Frage der Geschäftsfähigkeit).

Es handelt sich bei einer Exploration Ihres Geisteszustandes um kein Vorstellungsgespräch. Dies bedeutet jedoch nicht, daß gängige Verhaltensregeln völlig unbeachtlich sind, gerade weil der Sachverständige nicht Ihr Freund sondern eher Ihr potentieller Gegner ist, sofern er - und dies ist grundsätzlich zu befürchten - als sog. "Gehilfe des Richters" parteilich - d.h. mit Blick zum Richter - eingestellt ist. 

Vielleicht am wichtigsten:   
a) Auf die Anwesenheit des (eigenen) Rechtsanwaltes dringen. Die Rechtslage diesbezüglich scheint bislang unklar, siehe Francke, der sich in Falle einer medizinischen Begutachtung (bei fraglicher Dienstunfähigkeit) für ein Teilnahmerecht einer Vertrauensperson/eines Rechtsanwalts ausspricht. Eine psychiatrische Begutachtung bei fraglicher Prozeßfähigkeit greift zumindest ebenso "tief in die Persönlichkeit und Menschenwürde ein". Auch gilt gleichermaßen der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit und des fairen Verfahrens. Die Ablehnung der erbetenen Anwesenheit eines Rechtsanwaltes an der Exploraration müßte also erst recht stichhaltig begründet werden, andernfalls läge wohl ein Ablehnungsgrund vor.
b) Außerdem sollte, zugleich oder doch zumindest hilfsweise, auf einem Tonbandprotokoll4 oder besser noch auf einer Videografie des Begutachtungsvorganges bestanden und die Zusage vorher schriftlich eingefordert werden. Zur Begründung dieser Forderung könnte der folgende Ausschnitt aus dem Mollath-Gutachten ("Forensisch-Psychiatrisches Gutachten" vom 25.7.2005, S. 15/16) dienen:
"Psychischer Befund: 
- Wach, orientiert; ungepflegt; auffällig ist das negativistische Weltbild, in dem der Angeklagte der Benachteiligte ist. Es mutet an, dass es sich um paranoides Umdenken handelt, insbesondere die Schwarzgeldkreis-Verschwörung gegen ihn.
- Es dominieren Größenphantasien.
- Auf Stimmenhören befragt, hätte der Angeklagte geantwortet: Er höre eine innere Stimme, die ihm sage, er sei ein ordentlicher Kerl, er spüre sein Gewissen. Im Grundgesetz sei die Gewissensfreiheit verankert. Es gebe nur Gerechtigkeit oder Tod. Dies hier sei ein Unrechtsstaat.
- Die Ich-Grenzen wirken verschwommen, die Ausführungen sind ausufernd, scheinlogisch
in Abwechslung mit vernünftigen Gedanken.
- Der Affekt ist heiter, Gedächtnis und Merkfähigkeit regelrecht. Die Stimmung wirkt
grenzwertig gehoben. Suizidalität nicht zu eruieren."

Kommentar: " Diagnosen" dieser Art bestätigen das (umstrittene) Rosenhan-Experiment, mit dem tragischen Unterschied, daß es sich hier um keinen Freiwilligen handelte, sondern um einen Ernstfall, der peu a peu ans Tageslicht kommt. 

Aus der Analyse einiger vorliegender Gutachten lassen sich folgende Erkenntnisse ableiten: 
1. Auch bei noch so großer Freundlichkeit des Gutachters gilt: jedes Verhalten und jede Äußerung wird weitgehend beliebig (Maßstab ist sein persönlicher Begriff von Normalität) interpretiert und zwar selektiv, mit Ziel einer schlüssigen psychiatrischen "Diagnose". In die Seriosität oder gar Wissenschaftlichkeit zu vertrauen wäre grundfalsch!5

2. Wenn überhaupt, dann kann man nur durch informative Fragen an den Gutachter dessen Einstellung aufdecken. Eingangs sollte nach der Beweisfrage gefragt werden, einschließlich der Bitte, diese zu erläutern. Bei Fragen des Gutachters ggf. um Erläuterung bitten. 

3. Grundsätzlich knapp und am Thema bleiben, nicht mehr antworten, als gefragt wurde. Merke: Fragt der Gutachter nicht nach Sachzusammenhängen und Motiven ("adäquates" Prozessziel, Schwere der Betroffenheit?), dürfte das Ergebnis für ihn bereits feststehen. 

4. Dies gilt umso mehr, wenn die Prozeßgestaltung seitens des Gerichts (die ja oft (mit) auslösend für das prozessuale Verhalten des Probenden ist) den Gutachter nicht interessiert, überhaupt ist für die Beurteilung der Angemessenheit prozessualen Verhaltens die Kenntnis des Verfahrensrechtes und der Gerichtspraxis unabdingbar. 

Gewinnt der Proband den Eindruck, daß der der Gutachter keine Tonbandprotokoll zulassen, keine Fragen (Ziffer 1 u. 2) beantworten will oder bereits aus anderen Gründen (Ziffer 3 u. 4) festgelegt zu sein scheint, sollte er die Exploration abbrechen und mittels Rechtsanwalt geeignete Schritte unternehmen, etwa eine Exploration durch einen anderen Gutachter beantragen, auf den man sich zuvor mit dem Gericht geeinigt hat. Weiterhin wäre an eine begründete Gutachterablehnung zu denken und, wenn das Geld reicht, an ein Privatgutachten. Bezüglich eines solchen Parteigutachtens könnte sich in Zukunft etwas bewegen, indem dieses vom Gericht nicht mehr nur als qualifizierter Parteivortrag (wie im Zivilverfahren), sondern als geeignetes Beweismittel zu würdigen ist, s. Ahrens, Reform des Sachverständigenbeweises, ZRP 4/2015, 105-109. Wenn im Strafprozeß der von der Verteidigung (§ 254 II StPO gewährt der Verteidigung das sog. Selbstladungsrecht) geladene psychiatrische Sachverständige gerade  n i c h t  Parteigutachter ist, sondern die gleiche Rechtsstellung genießt, wie der gem. § 75 StPO vom Gericht augewählte (Klaus Detter, Der von der Verteidigung geladene psychiatrische Sachverständige, FS f. Meyer-Gossner 2001, 431-446), so fragt sich, ob dies nicht auch für eine aus der Sicht des Betroffenen recht ähnlichen Situation gelten sollte, wenn, v. a. im Interesse der Allgemeinheit, ein mündiger Bürger von Amts wegen psychiatrisch begutachtet wird. Denn schließlich geht es in beiden Fällen um die direkte Konfrontation Bürger-Staat: s. a. u. Gutachter-Frage.

Besser wäre es allerdings gewesen, bereits im Vorfeld (entsprechenden Antrag stellen!) die psychiatrische Exploration, die den Betroffenen weitgehend zum Untersuchungsobjekt macht, durch mildere Mittel6 zu vermeiden. Als solche kämen infrage:
- (zunächst) nur Einforderung eines Aktengutachtens7
- Beobachtung der betroffenen Partei durch einen Gutachter in der Verhandlung.

Ist es jedoch bereits zu einer Begutachtung gekommen, sollte unbedingt überlegt werden, ob nicht die Anhörung des Sachverständigen in mündlicher Verhandlung beantragt wird. Der Antrag auf Ladung des Gutachters muß zwar begründet werden, jedoch genügt es, "wenn die Partei allgemein angibt, in welche Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht" (BGH B.v. 19.11.2014).
In diese wichtigen Entscheidung leitet der BGH das Fragerecht der Partei vom Grundrecht auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG) ab. Im Falle eines für die Partei negativen Gutachtens liegt hier eine letzte Chance (Berufung; Revision).
 
Aus der Sicht des Sachverständigen ist jeder zu Recht kritischer Proband naturgemäß ein "schwieriger Kunde", siehe dazu die Aufsätze Schröter in: Med Sach 2/2014, S. 56-59, sowie D. Kemper, ebd., S. 46-51, ("Umgang mit schwierigen Kunden" - juristische Einführung). 




Anmerkungen:
1 die Kompetenz des Amtsarztes bestimmt sich u. a. nach dem Erwerb des Zertifikats "Forensische Psychiatrie" der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN). Zur weiteren Entwicklung s. Müller/Saimeh

2
Gutachten zur Prozeßfähigkeit wurden wegen "hohem Schwierigkeitsgrad" in die Honorargruppe "M 3" eingestuft (BGBl. I 2004, S. 784 ff)

3 die brisante Frage der Wissenschaftlichkeit von Tests wird bislang nur bezüglich psychologischer Tests diskutiert und zum Gegenstand medialer Aufmerksamkeit  (3sat vom 16.4.2015 (Wissenschaftsdoku "Gutachten: Mangelhaft"). Die Problematik forensischer Fehlgutachten stellt sich gleichermaßen für die psychiatrischen Weißkittel. 
Anmerkung des Verf.: 
Gleichwohl ist Kritik angebracht: die Versuchsanordnungen gegen Ende des Berichts entbehren einer entscheidenden Ergänzung: der Hemmung durch das Überich, ohne dessen Hinzuziehung die Monokausalität dererlei "wissenschaftliche" Versuchsanordnungen falsche Spuren legen.    
4 Inwieweit ein Rechtsanspruch auf ein Wortprotokoll - oder aber einen Tonbandmitschnitt bzw. Videografie - der psychiatrischen Explorationsgspräches besteht, ist fraglich. Das Hamburgische OVG faselte unlängst etwas von "erforderlicher vertraulicher Gesprächsatmosphäre", die "das Frage- und Aussageverhalten der am Gespräch Beteiligten" beeinträchtigt werden könne. Fragt sich nur: in welche Richtung, sicherlich nicht in positiver. Mißtrauen ist insbesondere dann, wenn ein Mitschnitt abgelehnt wird dringend angeraten, den "beeinträchtigt" sein kann nur der Gutachter! 
Da der Sachverständige auch als "Sachverständiger Zeuge" fungiert und das Verfahren der prozessualen Entmündigung durchaus Parallelen zum Strafverfahren aufweist - beide regiert das Öffentliche Interesse - sind rechtliche Überlegungen angezeigt, wie sie Meyer-Mews (Das Wortprotokoll in der strafrechtlichen Hauptverhandlung, NJW 2002, 103-108) anstellte. Ein Lichtblick könnte der aktuelle Beschluß des OLG Hamm vom 3.2.2015 darstellen, mit dem die Anwesenheit einer dritten Person beim Explorationsgespräch erlaubt wurde, weil ansonsten der zu Begutachtende "keine Möglichkeit hätte, gegenüber abstrakt immer denkbaren Wahrnehmungsfehlern des Sachverständigen effektiven Rechtsschutz zu erlangen.Zum Thema Aufzeichnung der Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen (Videodokumentation) siehe entsprechende Vorschläge im "Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens" vom Oktober 2015, dort Seite 17 unter Punkt 4.
Die Frage des Rechts auf die videografische Dokumentation der forensisch-psychiatrischen Untersuchung ist immerhin schon mal in der Gemeindepolitik gestellt worden:  


5 Gegen die berechtigte Erwartung einer seriösen Begutachtung stehen v.a. das ökonomische Interesse des Gutachters: 
1. Hoffnung auf Anschlußaufträge mit dem Ziel zum sog. Hausgutachter zu avancieren, der Königsweg dazu lautet: die Erwartungen des Richters zu erfüllen,  was heißt: zu erspüren, welches Ergebnis sich dieser wünscht,
2. Arbeitsersparnis, hierzu dienen sog. Textbausteine - seltener Fall von Aufdeckung durch die Initiative eines betroffenen, österreichischen Juristen: https://www.youtube.com/watch?v=t8BibIgUon4

6 unter Bezugnahme auf das Urteil des KG v. 12.9.2000 - 1 W 6183/00, in dem es heißt:
Das Gebot, ein Gutachten erst dann einzuholen, wenn die Tatsachen, die Anlaß zur Begutachtung geben, durch andere Erkenntnismittel festgestellt worden sind, folgt dabei aus dem mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

7 nach Baer (Psychiatrie für Juristen, 1988, 64) kann ein erfahrener Psychiater "schon aus Form und Inhalt der Akten seine Diagnose stellen" - ein Ausdruck von Überheblichkeit, wie folgendes Beispiel einer richterlichen Fehlwertung zeigt: 
Der Sachverständiger habe in der Tatsache mehrfachen Anwaltswechsels eine "wesentliche und typische Folge der querulatorischen Züge und der daraus folgenden Prozeßunfähigkeit" erkannt. (LG Dessau-Roßlau, U. v. 28.03.2014 - 2 O 748/11 - SV: Dr. med. Hasselbeck). Der Wertungsfehler liegt darin, daß lediglich qualitative Anhaltspunkte für die berechtigte Erhebung von Zweifeln nicht ausreichen durften; hier waren die Anwaltswechsel zudem begründet worden.  





Literatur:
- Peter Fiedler, Persönlichkeitsstörungen, 5. Aufl. 2001
- Clemens Cording / Norbert Nedopil (Hrsg), Psychiatrische Begutachtungen im Zivilrecht, 2014
- Frank Schneider/Helmut Frister/Dirk Olzen, Begutachtung psychischer Störungen, 3. Aufl. 2014
 Kleines Strafrichter-Brevier, 2008, wo es auf S. 73ff heißt: 
"Die Gerichte neigen dazu, vorwiegend ihnen genehme Sachverständige zu bestellen. Der Richter Föhrig hat dazu freimütig ausgeführt: "Was aber, wenn das Ziel überzeugender Übereinstimmung nicht zu erreichen ist? Weil ich den Sachverständigen auf Gedeih und Verderb nicht verstehe, oder ihn zwar verstehe, sein Ergebnis indes nicht zu akzeptieren vermag, oder der Gutachter, weil mir von der Staatsanwaltschaft oktroyiert, meinen Qualitätsvorstellungen (…) nicht entspricht? Was dann? (…) Bleibt eigentlich nur "Lösung D" – missfällt mir ein Sachverständiger, liege das nun an ihm oder mir, bestelle ich einen weiteren."



Links:
a) zur Auswahlproblematik

zu medizinischen Gutachtern:

Kritisches zu psychiatrischen Gutachtern:
(Psychiaterin/Psychoanalytikerin Dr. med. Hanna Ziegert)  

Reaktion auf Ziegerts Auftritt:
https://www.youtube.com/watch?v=V9KeH8aIvDc (Fr. Ziegert über Reaktionen)



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